[Konzert] Welle: Erdball
Support: The Sexorcist
Samstag, 6. Mai 2017
Schlachthof, Wiesbaden
Wenn Welle: Erdball die
bundesdeutschen Clubs und Hallen mit einer neuen Sendung bespielen,
machen sie regelmäßig Station im Rhein-Main-Gebiet. So weit ich
mich zurück erinnern kann waren sie dabei immer in der Opelstadt
Rüsselsheim (von einem kurzen Abstecher nach Bingen abgesehen) zu
Gast. Auf ihrer aktuellen Vespa 50N Special Tour bricht die
Band mit dieser langjährigen Tradition und tritt in der großen
Halle des Wiesbadener Schlachthofs auf, um ihre neue EP
Gaudeamus Igitur dem geneigten Hörer vorzustellen.
Im Gegensatz zu vielen anderen
Musikern legt die Band Wert auf Pünktlichkeit und so betritt exakt
um 20 Uhr das Duo The Sexorcist die Bühne um das Publikum auf
den Hauptact einzustimmen. So richtig will dieses Unterfangen mit
Stücken wie „Brandenburg“, „Tokio“ oder „Vegan“ jedoch
nicht gelingen. Die harten Beats zusammen mit den expliziten,
provokanten (und nicht ganz Ernst gemeinten) Texten kommen nicht
übermäßig gut an – immerhin haben eine Handvoll Besucher vor der
Bühne sichtlich Spaß. Der Rest des Publikums hat sich über die
gesamte Halle verteilt, redet, trinkt, oder hat sich gleich ganz vor
die Tür der Halle verzogen. Das gut 45minütige Set endet
schließlich mit einer sehr eigenwilligen Interpretation des
NDW-Klassikers „Skandal im Sperrbezirk“ - für mich das beste
Stück der Vorband.
Kaum ist der letzte Ton verklungen
räumen Chris L. und Gunnar Kreuz die Bühne, während die
hauseigenen Techniker hektisch letzte Hand an die Verkabelung und die
Bühnendekoration legen, damit es ohne größere Verzögerung weiter
gehen kann.
Tatsächlich ist die Umbaupause in
Rekordzeit abgeschlossen und Welle: Erdball machen sich für
ihren großen Auftritt bereit. An den Bühnenrändern knattern schon
fröhlich (nach anfänglichen Startproblemen) die beiden Vespas mit denen die vier Bandmitglieder, ganz
im Sinne des Tourmottos, auf die Bühne fahren. Derweil läuft
„Gaudeamus Igitur“, der Titeltrack der neuen EP aus den Boxen.
Nachdem die Musiker ihre Positionen eingenommen haben und das Konzert
traditionell mit „Funkbereit!“ einleiten, sehe ich im Publikum
viele fragende Gesichter. Auch ich bin etwas verwirrt, stehen dort
oben mit Honey und Lady Lila nur 50 Prozent der bekannten Besetzung.
Doch statt einer Erklärung folgen „Vespa 50N Special“ und „Nur
mit mir allein“ vom neuen Tonträger, bei denen sich Honey und Lady
Lila am Mikrofon abwechseln. Bei „Nerdfaktor 42“ hat dann endlich
der Commodore C64, das eigentliche Aushängeschild der Band, seinen
Einsatz. Zum ersten Mal an diesem Abend kommt tatsächlich Bewegung
ins Publikum – es ist auch schwer sich dem minimalen, aber
eingängigen Rhythmus zu entziehen. Das folgende „Stirb mir nicht
weg“ entstand im letzten Jahr Jahr im Rahmen eines Workshops auf
dem Amphi-Festival und gedenkt im Intro der prominenten Toten
des Jahres 2016. Erst danach liefert Honey eine Erklärung für das
Fehlen der beiden Bandmitglieder und stellt gleichzeitig den Ersatz
auf der Bühne vor. Sowohl A.L.F. als auch Fräulein Venus stehen für
die laufende Tour aus familiären Gründen leider nicht zur
Verfügung, stattdessen übernimmt Andy Berberich, normalerweise der
Mann im Hintergrund, die Tastenarbeit, während Emma Peel für
Mikrofon und Moderation zuständig ist.
Schon ein paar Jahre ist das
folgende „Der Türspion“ alt, das vom Publikum trotzdem nach
Kräften gefeiert wird und vor allem mit einer gelungenen optischen
Präsentation unterhalten kann. „Die letzte Chance zu leben“
liefert eine sehr spezielle Mischung aus Alleinunterhalter-Keyboards,
einem Bubble-Gum-Refrain und einem beinahe schlagerhaften Vortrag von
Honey. Eine sehr gewöhnungsbedürftige Nummer, die sich aber
unbestreitbar im Gehörgang festsetzt und den ganzen Saal zum Tanzen
bringt. Ähnlich eingängig aber deutlich ruhiger, und für mich
eines der Highlights von Gaudeamus Igitur, ist das von Lady
Lila vorgetragene „L'inconnue de la Seine“. Es folgt das
stampfende „20.000 Meilen unter dem Meer“, bei dem vor allem der
Refrain hängen bleibt. Schließlich endet der erste Teil des Sets
nach einer guten Dreiviertelstunde mit „FanFanFanatisch“, der
wohl bisher tanzbarsten, druckvollsten Nummer des Abends. In der,
leider nur halb vollen, Halle gibt es zu diesem Zeitpunkt
eigentlichen niemanden mehr der still steht.
Die sich daran anschließende Pause
dürfte die kürzeste sein, die ich jemals auf einem Konzert erlebt
habe. Während die beiden Moderatorinnen von der Bühne gehen,
stöpseln Andy und Honey einige (zu kurze) Kabel um und verschieben
Instrumente. Schon nach handgestoppten zwei Minuten geht es wieder
mit der Sendung weiter.
Ganz in weiß und mit aufblasbaren
Flügeln betritt Lady Lila die Bühne um den zweiten Teil mit „1000
Engel“ zu eröffnen. Hier ist es vor allem die Optik die überzeugen
kann; dem Stück selbst fehlt, wie ich finde, das gewisse Etwas. Nach
diesem etwas ruhigeren Intermezzo ziehen Welle: Erdball das
Tempo mit „Wir wollen keine Menschen sein“ wieder deutlich an.
Treibende Beats, eine einfach gestrickte Melodie und den eingängigen
Text – mehr braucht es nicht um gut 600 Leute zum Tanzen zu
bringen. Die Hymne der Verschwörungstheoretiker, „23“, darf
natürlich nicht fehlen, ebenso wie „Die Liebe der 3. Art“. Hier
bekommt der treue C64 eine kurze Verschnaufpause während die
komplette Musik zu dem Stück von einem Nintendo DS geliefert wird.
Über 20 Jahre alt ist mittlerweile „Wo kommen all die Geister her“
- und für mich immer noch eines der besten Stücke der Band. Das
Theremin, mit seinem extrem charakteristischen Klang, hat an diesem
Abend einen Wackelkontakt und gibt stellenweise merkwürdige
Geräusche von sich und auch der Text wurde in einigen Passagen den
aktuellen technischen Gegebenheiten angepasst. Mittlerweile wird
jedes Stück gefeiert und das komplette Publikum bewegt sich im Takt
der Musik.
Ein Standard auf Konzerten der Band ist schon seit
vielen Jahren „Schweben, fliegen, fallen“, bei dem die beiden
Moderatorinnen riesige Bälle ins Publikum werfen, die sich zu
begehrten Trophäen entwickelt haben. Die Stimmung ist zu diesem
Zeitpunkt großartig, die Besucher singen lautstark mit und auch die
Band hat sichtlich Spaß an dem Auftritt. Eine kurze Verschnaufpause
gibt es mit dem Frühwerk „Ich bin nicht von dieser Welt“ und
„Alles Lüge“ vom 2006er Album Chaos Total. Als ein Ölfass
auf die Bühne gerollt wird jubelt der Saal, denn die erfahrenen
Konzertgänger wissen, dass nun „Arbeit adelt“ folgt. Extrem
eingängig und tanzbar ist dieses Stück ebenfalls schon seit Jahren
völlig zu Recht ein Publikumsliebling. Während sich Honey ein wenig
zurückzieht übernehmen Emma Peel und Lady Lila das Mikrofon und
sorgen mit dem „8-Bit-Märchenland“ für eine dringend benötigte
Ruhepause. Zwischen „VW Käfer“ und „Feuerwerk“ darf der
Hinweis auf die obligatorischen Unterschriftenlisten und
Spendenaktionen am Merchandise-Stand nicht fehlen. Schon seit Jahren
unterstützt die Band den Deutschen Tierschutzbund e.V. und
die SOS-Kinderdörfer, so auch bei diesem Auftritt in
Wiesbaden.
Nach knapp zwei Stunden kündigt
Honey das baldige Ende des Konzertes an, allerdings wäre so ein
kurzer Auftritt ungewöhnlich für die Band. Als dann der Sound von
Triebwerke aus den Boxen dröhnt ist es Zeit für „Starfighter
F-104g“, ein weiterer Fixpunkt bei den Auftritten. Während
Papierflieger von der Bühne ins Publikum fliegen, werden in der
Halle die letzten Reserven mobilisiert und ausgelassen getanzt.
Anscheinend hat die Band immer noch Lust zu spielen und diesem
vermeindlich letzten Stück folgt das von mir sehr geschätzte,
zuckersüße „Poupée de Cire“ bei dem wieder Lady Lila das
Mikrofon übernimmt. „Graf Krolok“, „Deutsche Liebe“ und das
lautstark geforderte „Monoton & Minimal“ müssen ebenfalls
gespielt werden, obwohl Honey jedes Lied als das wirklich allerletzte
ankündigt. Schließlich geht die Sendung dann doch zu Ende und
Welle: Erdball verabschieden sich mit „Es geht voran“ dann
tatsächlich nach "nur" 2 1/2 Stunden in den
Backstage-Bereich.
Meist folgen die Konzerte von
Welle: Erdball einem bestimmten Schema und auch dieser
Auftritt im Schlachthof in Wiesbaden sollte dabei keine
Ausnahme bilden. Der erste Teil des Sets konzentrierte sich
weitgehend auf das Material der neuen Sendung, während der zweite,
deutlich längere Teil einen Querschnitt durch das beinahe 25jährige
Schaffen der Band bietet. Auch die Kostümwechsel der beiden
Moderatorinnen, die zahlreichen Accessoires, Filmprojektionen und die
nüchternen, lakonischen Moderationen von Honey gehören eigentlich
schon lange zum Standardprogramm. Und obwohl ich im Laufe der Jahre
schon bestimmt bei sieben oder acht Konzerten war, wird es dennoch
nicht langweilig. Die Stimmung im Publikum war schlicht großartig,
die Band hatte Spaß und die Setlist aus neuem Material und
liebgewonnenen Klassikern schaffte es (fast) immer die
Lieblingslieder der Zuhörer punktgenau zu treffen. Wirklich perfekt
wäre der Auftritt noch mit „Die Moorsoldaten“ gewesen, aber ich
will mich nicht beschweren – wo bekommt man noch so viel gute
Unterhaltung für sein Eintrittsgeld geboten. Im Laufe der Jahre ist
es Welle: Erdball gelungen die Mischung zwischen Musik,
optischer Präsentation und Show zu perfektionieren. Natürlich muss
man diese Art der minimal-elektronischen Musik mögen – dann
bekommt man aber auch ein fantastisches Konzerterlebnis geboten.
Auch
der dazugehörige technische Rahmen passte an diesem Abend. Die Leute
hinter den Mischpulten hatten Sound und Licht hervorragend im Griff;
einzig die Vocals der Moderatorinnen hätten stellenweise etwas
lauter sein können. Ansonsten gab es, wie eigentlich in letzter Zeit
immer im Schlachthof, rein gar nichts von dieser Seite
auszusetzen.
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