[Konzert] Courtesans
Samstag, 22. April 2017
The Water Rats,London
Ich steckte schon mitten in den
Reisevorbereitungen für meinen diesjährigen London-Urlaub und den
Besuch der SALUTE,
als ich Mitte März eine ominöse Mail in meinem Posteingang fand. In
dieser wurde ein „secret gig“ von The
Raging Whoremoans
angekündigt, einer Band von der ich bisher noch nie gehört hatte.
Es dauerte einige Augenblicke bis ich realisierte, dass es sich dabei
um die Courtesans,
eine vierköpfige Band aus London handelt, deren beide Alben ich in
der Vergangenheit rezensiert hatte. Im Hinterzimmer von The
Water Rats, einem kleinen
Pub in Kings Cross, sollte die Veröffentlichung der neuen EP Better
Safe Than Sober mit einer
Handvoll Gäste gefeiert werden. Da dies wunderbar mit meinen
Urlaubsplänen zusammenpasste und die vier Damen wohl leider nicht in
absehbarer Zeit zu einer Tour aufs Festland kommen, sagte ich
natürlich gerne zu.
Nachdem ich schon seit 6 Uhr
morgens auf den Beinen bin und den Großteil des Tages auf einer
anstrengenden Messe verbracht habe, bleibt mir nur wenig Zeit mich im
Hotel auszuruhen und durchzuschnaufen. Da ich mir nicht sicher bin
wie lange der Weg quer durch die Stadt dauert, setze ich mich gegen
21.30 Uhr in die Bahn in Richtung Kings Cross. Die Fahrt geht
erstaunlich schnell und ich habe vor Ort noch ein bisschen Zeit mich
umzusehen. Natürlich bin ich zu früh am The
Water Rats und der
Türsteher schickt mich quer durch den gut gefüllten Pub in den
Hinterraum. Bisher haben sich noch nicht übermäßig viele Besucher
hierher verirrt und ich kann mir einen Platz an einem der Tische
sichern. An der Bar muss ich dann zu meinem Entsetzen feststellen,
dass hier Wodka mit Bitter Lemon praktisch unbekannt ist und der
Barkeeper stattdessen Zitronenlimonade zum Mischen nimmt – eine
traumatische Erfahrung.
Ich habe es mir grade gemütlich
gemacht, da werde ich vom Tontechniker auch schon wieder aus dem Raum
gescheucht; es müssten noch einige Vorbereitungen abgeschlossen
werden. Die Wartezeit im Pub überbrücke ich mit einem weiteren
Getränk, während aus den Boxen 1980er-Wave läuft – kurioserweise
auch das unsägliche „99 Luftballons“. Kurz nach 23 Uhr ist dann
anscheinend doch alles bereit und die Tür in den Hinterraum öffnet
sich wieder. Die Stühle sind zwischenzeitlich alle besetzt und so
suche ich mir eine gemütliche Ecke auf der anderen Seite des Raumes,
unmittelbar an der Bühne. Die Stimmung ist erstaunlich locker und
familiär; viele der Besucher sind deutlich jünger als ich und
kommen anscheinend aus dem direkten Umfeld der Band.
Das Intro bestreitet die
Singer-Songwriterin Cherie, die sich selbst auf der Gitarre
begleitet. Vier Stücke, allesamt langsam, melancholisch und mit
zerbrechlich wirkender Stimme vorgetragen, laden dazu ein, die Augen
zu schließen und einfach zuzuhören. Wobei das für mich grade nicht
ohne Risiko ist, bin ich doch nicht mehr wirklich fit. Bevor ich
jedoch laut schnarchend unter die Bühne rutsche, besorge ich mir
lieber noch etwas zu trinken – was mich dann wieder ein wenig
aufweckt.
Nach einer kleinen Pause startet das Intro vom Band,
doch schon nach wenigen Sekunden streikt die Technik und Sängerin
Sinéad muss die Panne überbrücken. Nachdem die Probleme behoben
sind, legen Bassistin Agnes, Gitarristin Saffire und Schlagzeugerin
Vikki mit „Scream“, dem Opener des ersten Albums 1917,
los – während die Sängerin vor der Bühne entspannt an ihrem Bier
nippt. Während der Song langsam Fahrt aufnimmt ist die Band
mittlerweile vollständig und liefert eine schöne Einleitung ab,
auch wenn der Gesang doch sehr leise ist. Beim folgenden „Liberate“
kommen die Vocals deutlich kräftiger aus den Lautsprechern, und auch
die Zuschauer trauen sich ein wenig weiter an die Bühne heran –
allerdings erst nach expliziter Aufforderung. Danach kommt auch
tatsächlich Bewegung in die gut 50 geladenen Besucher und die
meisten wippen zumindest im Takt mit.
Während mir „Mesmerise“ in
der Album-Version nicht ganz so gut gefällt ist die Live-Version
eine ganz andere Angelegenheit. Hier schaffen es die vier Damen den
Druck aufzubauen, den ich bei dem Stück vermisst habe. Ob dies nun
an der Bühnenpräsenz der Band liegt, an der heimeligen
Pub-Atmosphäre, an meiner eigenen Stimmung oder an einer Mischung
dieser Komponenten kann ich nicht eindeutig festmachen – auf jeden
Fall eins meiner Lieblingsstücke an diesem Abend. Für einen
Gänsehautmoment sorgt anschließend „Lullaby“ das, praktisch nur
von Bass und Schlagzeug getragen, mit mehrstimmigem Gesang aufwarten
kann. Der ganze Raum lauscht andächtig und wiegt dezent im Takt mit,
wahrscheinlich das atmosphärisch dichteste und intimste Stück an
diesem Abend. Etwas schwungvoller geht es bei „Fubar“ zur Sache,
das ich bisher noch nicht kannte. Ruhige und rockige Passage wechseln
sich hier ab und es kommt wieder etwas mehr Bewegung in die
Zuschauer. Zusammengehalten wird das Stück durch das Schlagzeug von
Vikki Frances, die stoisch ihren leicht scheppernden Beat schlägt,
während ihre Mitmusikerinnen ihre Parts drumherum drapieren. Es
folgt mein ganz persönliches Highlight, „Genius“ vom Debüt, das
vor allem durch den mehrstimmigen Gesang lebt. Wieder ist es das
Schlagzeug, das hier dominiert, werden Gitarre und Bass nur sehr
reduziert zum Einsatz kommen – von der Schlussphase des Stückes
einmal abgesehen. „Knowhere“, „John Doe“ und „Feel the
Same“ stammen von der neuen EP und sorgen dafür, dass das Publikum
nach den vorangegangenen, etwas ruhigeren Stücken wieder etwas mehr
Einsatz zeigt.
Auch das folgende „Monkey Logic“ habe ich bisher
noch nicht gehört, allerdings gefällt mir das Stück recht gut.
Wütend gerappte Vocals werden von gesampelten Sprachschnipseln und
einem zuckersüßen Chorus unterbrochen, wechseln in normalen Gesang
nur um dann wieder im Sprechgesang zu enden. Die Musik orientiert
sich am Cross-Over der 1990er Jahre und kommt trotz einer gewissen
Härte und Aggressivität doch sehr melodisch aus den Boxen. Die Band
beschließt den Abend mit „A Little Bit Of Luck“, eigentlich eine
Dance-Nummer aus dem Jahr 2000. Das Schlagzeug gibt den Rhythmus vor,
während Bass und Gitarre sich zu Beginn auffällig zurück halten
und erst später ihren richtigen Einsatz haben. Die Vocals pendeln
zwischen verschiedenen Tonlagen und Geschwindigkeiten, ein schöner
Kontrast, der gut zur Instrumentierung passt. Das Stück gefällt mir
deutlich besser als das Original und liefert einen gelungenen, aber
leider viel zu frühen, Abschluss für dieses Konzert.
Nach dem letzten Stück leert sich
der Raum erstaunlich schnell und ich beeile mich die Damen am
Merchandise-Stand zu treffen. Während ich darauf warte das jemand
einen Stift zum Signieren organisiert, habe ich die Gelegenheit mich
ein wenig mit Agnes und Sinéad zu unterhalten und mir das restliche
Merch-Angebot anzuschauen. Schließlich habe ich die Unterschriften
der vier Musikerinnen auf den CDs die ich für eine Freundin
mitbringen soll und überlege ob ich noch zur After-Show-Party mit DJ
Oestrogen bleibe. Bald sehe ich jedoch ein, dass ich mich langsam auf
den Weg machen muss, will ich im Hotel ankommen.
Glücklicherweise
fahren die Londoner U-Bahnen mittlerweile auch nachts, so dass ich
mich nicht mit Nachtbus oder Taxi quer durch die Stadt quälen muss.
Nach gut einer halben Stunde erreiche ich schließlich, mittlerweile
ziemlich fertig, mein Hotel. Ich schaffe es grade noch mich ins Bett
zu schleppen, wo ich dann auch einen Großteil des folgenden
Sonntages verbringe.
Die Courtesans
liefern an diesem Abend ein tolles und sehr familiäres, wenn auch
leider viel zu kurzes, Konzert ab. Die Bandmitglieder sind entspannt,
machen Späße mit dem Publikum, beklagen sich über den Biermangel
und liefern einen guten, energiegeladenen Auftritt ab. Abgesehen von
den kleinen Problemen zu Beginn des Konzertes macht der Tontechniker
seinen Job sehr ordentlich und findet eine ausgewogene Balance
zwischen Instrumenten und Stimmen. Der Sound ist deutlich rauer und
dreckiger als auf CD, was den Stücken aber sehr gut zu Gesicht
steht. Zwei, drei Stücke habe ich auf der Setlist vermisst;
entschädigt wurde ich dafür aber unter anderem mit einer ziemlich
guten Cover-Version von „A Little Bit Of Luck“ und dem wirklich
überzeugenden „Mesmerise“.
Wer sich selbst einen Eindruck von
der Musik der vier jungen Damen machen möchte, findet auf der
Homepage
der Band mehrere Lieder und Videos.
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