Freitag, 21. Oktober 2016

SPIEL '16



[Messe] SPIEL '16
13.-16. Oktober 2016
Gruga, Essen

Nachdem in den letzten Jahren meine Besuche auf der SPIEL, der weltweit größten Messe für Gesellschaftsspiele aller Art, eher kurz und ein wenig planlos ausgefallen waren, sollte es in diesem Jahr wieder einmal das Hardcore-Programm mit Anreise schon am Mittwoch werden. Der nötige Urlaub (einschließlich ein paar Tage nach der Messe zur Erholung) wurde von meiner Chefin anstandslos durchgewunken, eine kostengünstige Unterkunft im nahe gelegenen Mülheim war ebenfalls schnell organisiert und auch die Akkreditierung mit Eintrittskarte und Parkticket ging problemlos über die Bühne. Da ich somit eine etwas stabilere Planungsgrundlage hatte konnte ich im Vorfeld schon einige Gesprächstermine machen, mir eine Liste der interessanten Spiele zusammenstellen und mir ein wenig Gedanken über das Abendprogramm machen.


Tatsächlich vergingen die Wochen bis zum Termin erschreckend schnell und beinahe hektisch musste ich dann meine Tasche und die benötigten Unterlagen für den Weg nach Essen packen. Ich hatte am Mittwoch zumindest einige der zahlreichen Verlagspräsentationen und die Neuheitenschau eingeplant, zudem wollte ich mir einen ersten Überblick über den Hallenaufbau verschaffen. Soweit verlief auch alles nach Plan und sowohl Fahrt, Parkplatzsuche und Termine funktionierten tadellos, selbst wenn ich die Hauptpressekonferenz an diesem Tag leider verpasste. Mit ersten Demospielen bei Amigo, einem kurzen Neuheitenüberblick bei Ulisses Spiele und netten Gesprächen am Stand von Freebooter Miniatures verging der inoffizielle erste Messetag recht schnell. Überall herrschte in den Hallen geschäftiges Treiben, Leute schleppten Kisten und Standdeko umher und die ersten Deals wurden bereits ausgehandelt. Ich konnte dabei schon auf meiner mentalen Karte einige Anlaufpunkte für den nächsten Tag markieren und den Blick auf manche vielversprechenden Spiele werfen.
Auf der Fahrt nach Mülheim zu meiner Unterkunft ergänzte ich noch die Vorräte für die kommenden Tage und wartete im Loft auf das Eintreffen meiner Mitreisenden. Diese trudelten nach und nach ein und während der gut eineinhalbstündigen Wartezeit auf die zwischenzeitlich bestellte Pizza ergaben sich dann auch Gelegenheiten für einen ersten Informationsaustausch.


War die Fahrt am Mittwoch, dem Aufbautag, noch sehr entspannt gewesen, so brach am frühen Donnerstag der Verkehr rund um die Messehallen komplett zusammen. Parkhäuser waren blockiert oder falsch zugewiesen, rücksichtslose Verkehrsteilnehmer versperrten zwei Fahrspuren oder gleich ganze Kreuzungen und auch der öffentliche Nahverkehr brach beinahe unter den spielewütigen Menschenmassen zusammen. Gegen 9 Uhr konnte ich vom Auto aus einen der Eingänge zu den Messehallen sehen, musste mich aber durch gewaltige Blechlawinen quälen und letztendlich einige obskure Schleichwege nutzen, damit ich deutlich nach 10 Uhr am Eingang war. Wie ich später erfuhr, lag ich damit gar nicht so schlecht in der Zeit, da andere Leute, auch das Personal vieler Stände, es teils erst gegen Mittag auf die Messe schaften.


Der erste Eindruck, den ich beim Betreten der Halle 1 hatte, war ein schier undurchdringlicher Menschenauflauf. Dies mag in erster Linie am „Schlauch“ gelegen haben, der Einkaufspassage des Heidelberger Spielerverlages. Die Tür zum Parkhaus öffnete sich genau auf die Ecke des Standes, an dem sich praktisch die ganzen vier Messetage über lange Schlangen bildeten und nur gruppenweise ins Innere gelassen wurden um Schnäppchen, aber auch Neuheiten, zu ergattern. Erst am Sonntag, kurz vor Ende der Messe, wagte ich ebenfalls einen Abstecher in das Areal, fand aber unter den, mittlerweile stark zusammengeschrumpften, Bergen von Spielen nichts, was mich wirklich angesprochen hätte. Deutlich stärkeres Interesse brachte ich dagegen der zweiten, offenen Seite des Verlagsstandes entgegen. Hier gab es an zahlreichen Demotischen die Möglichkeit aktuelle Messeneuheiten aber auch noch nicht veröffentlichte Spiele zu testen. Arkham Horror - The Card Game interessierte mich dabei naturgemäß besonders: Eine gelungene Mischung verschiedener Spielmechanismen, tolle Illustrationen und die gut umgesetzte Cthulhu-Thematik haben mich, zumindest in der kurzen Demorunde, sehr positiv überrascht und ich warte ungeduldig auf das Erscheinen der deutschen Version. Einen Ausflug in das Genre der Tabletop-Spiele wird es dann im nächsten Jahr mit RuneWars – Miniatures Game geben. Ob das Spiel tatsächlich etwas taugt war aber in der Kürze der Zeit nicht festzustellen, allerdings sehen die Figuren nicht übel aus.
Weiter ging mein Weg in Richtung des wirklich riesigen Standes von Asmodee, wo zahlreiche Demotische, eine Signierecke und mehrere Verkaufsflächen auf die Spieler warteten. Besonders die opulent ausgestatteten Spiel wie Zombicide mit seinen verschiedenen Ablegern oder der Wikinger-Epos Blood Rage zogen hier die Neugierigen an. Eher zufällig hatte ich die Gelegenheit eine Runde The Others: 7 Sins zu spielen, einen kooperativen Endzeit-Dungeon-Crawler, bei dem die Spieler verhindern müssen, dass eine Stadt von Dämonen überrannt wird. Die Backer, die das Spiel über Kickstarter finanziert haben (darunter auch ich) warten zwar immer noch auf ihre Boxen, aber die deutsche Version des Spiels ist offensichtlich vorrätig und verkaufte sich augenscheinlich recht gut. Einfache Spielmechanismen, sehr hübsche Figuren und Artworks sowie ein fast absurder Schwierigkeitsgrad haben einen etwas geteilten Eindruck bei mir hinterlassen. Sollte die Lieferung tatsächlich dann doch irgendwann einmal bei mir eintreffen, werde ich das Spiel aber sicherlich genauer unter die Lupe nehmen.
Der Rest der Halle bestand aus einer breit gefächerten Auswahl an größeren und kleineren Verlagen, mit durchaus interessanten Spielen, aber einen wirklichen Kracher konnte ich auf die Schnelle nicht entdecken. Einzig am Stand von Happy Game's Factory die das Endzeit-Skirmish-Tabletop Eden im Gepäck hatten hielt ich mich doch etwas länger auf und bekam vom Autor einen kurzen Einblick in das demnächst erscheinende dazugehörige Rollenspiel.


Die Halle 2 war für mich schon immer die wichtigste Halle, finden sich doch hier traditionell Rollenspiele, Brettspiele, Tabletops und Comics dichtgedrängt nebeneinander. Und so begann ich meinen eigentlich Streifzug über die diesjährige SPIEL wie gewohnt bei Freebooter Miniatures, die in den vergangenen zwölf Monaten besonders fleißig waren. Gleich mit zwei neue Erweiterungen für das Piraten-Skirmish-Tabletop Freebooter's Fate konnten Werner Klocke und seine Crew den Spielern eine Freude machen. Der Band Raging Rivers konzentriert sich dabei auf die Kämpfe und Entermanöver mit (kleinen) Booten und bringt einige neue Mechanismen sowie Figuren ins Spiel. Wie der Name vermuten lässt, erscheinen mit dem Regelwerk Big Trouble nun große Figuren auf den Spieltischen, beispielsweise der Piraten-Oger oder das spektakuläre Walross Franjo. Wie gewohnt wurde auch die Auswahl an normalen Figuren ausgeweitet und auch kleine Ruderboote mit den entsprechenden Accessoires finden sich mittlerweile im Programm des Miniaturenherstellers aus Oberhausen.
Nachdem Steamforged Games im letzten Jahr mit ihrem Fantasy-Football-Skirmish Guild Ball einen fulminanten Start hingelegt haben, wurde in diesem Jahr der nächste Kracher präsentiert: Die Umsetzung des Videospiels Dark Souls als Dungeon-Crawler war vor einigen Monaten als Crowdfunding-Projekt extrem erfolgreich. Interessierte Spieler konnten sich hier schon vorab einige Figuren anschauen und einen Kampf gegen den Endgegner wagen. Mich sprach das Design der Miniaturen allerdings nicht sonderlich an und auch die kleine Demorunde konnte mich nicht wirklich vom Spiel überzeugen. Ebenso erging es mir beim kleinen Kartenspiel Shadow Games, bei dem man sich ein Guild-Ball-Team zusammenkaufen muss. Den Spielablauf fand ich zu eintönig und vorhersehbar und auch die Aufmachung blieb hinter meinen, zugegeben recht hohen, Erwartungen zurück.
Nachdem es seit längerem vergriffen war, präsentierte die Redaktion Phantastik zur Messe das viktorianische Detektiv-Rollenspiel Private Eye in einer überarbeiteten und optisch ansprechenden neuen Auflage. Da ich das Spiel schon seit längerem meiner Sammlung einverleiben wollte, nutzte ich die Gelegenheit und packte es, einschließlich eines Abenteuers, in meinen merklich schwerer gewordenen Rucksack.
Recht prominent in der Halle 2 war der Stand des Tabletop-Herstellers Games Workshop aus Nottingham. Wirklich viel geboten wurde jedoch nicht, denn von einer einzigen kümmerlichen Vitrine, einer kleinen Business-Ecke und drei winzigen Demoflächen abgesehen war die riesige Standfläche leer. Die bekannten Spiele und Figuren des Herstellers, Warhammer – Age of Sigmar und Warhammer 40.000, kamen ebenso wenig vor wie das umfangreiche Sortiment an Romanen und die dazugehörigen Brettspiele. Einzig für die (noch nicht erhältliche) Neuauflage von Blood Bowl, einem Fantasy-Football-Spiel wurde hier Werbung gemacht. Da ich jahrelang in einer Liga gespielt hatte, nutzte ich das mangelnde Publikum an dem Stand für ein kleines Testspiel. Die Regeln sind im Prinzip immer noch die gleichen wie vor 20 Jahren, allerdings haben die Autoren einige zusätzliche Optionen eingebaut, die mich doch sehr deutlich an ein Konkurrenzprodukt erinnern. Nach wie vor macht das Spiel Spaß, ist spannend und durchaus für eine Turnierszene geeignet, auch wenn mich die Standpräsentation, das übermotivierte Personal und die nicht vorhandenen Informationen zu Preis und Veröffentlichungsdatum etwas irritiert, wenn nicht sogar abgeschreckt, haben. Auf der Rückseite hatte sich die Schwesterfirma Forge World mit Shirts, Resin-Miniaturen und Büchern niedergelassen, allerdings gab es für mich hier außer einigen Miniaturen nichts Spannendes zu entdecken.
Direkt nebenan und ebenfalls aus Nottingham angereist waren Warlord Games, die sich mittlerweile als feste Größe im Bereich der historischen Tabletops etabliert haben und immer wieder in andere Bereiche vorstoßen. War es im letzten Jahr das SciFi-Spiel Beyond the Gates of Antares gewesen, wurden in diesem Jahr gleich zwei neue Systeme vorgestellt. Project Z lässt kleine Truppe Überlebender gegen gewaltige Zombiehorden und auch gegeneinander antreten, während Konflikt '47 die (fiktive) Geschichte des Zweiten Weltkrieges mit Kampfläufern, Nazizombies und Exoskeletten weiterschreibt. Basierend auf dem sehr erfolgreichen Bolt Action-Regelwerk verbreitet sich grade letzteres System mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit. Auch die ersten Figuren für das kommende Doctor Who-Tabletop konnten schon in der Vitrine begutachtet werden. Allerdings war ich von diesen dann doch sehr enttäuscht, andere Miniaturenschmieden liefern da deutlich bessere Arbeit ab.
Sehr klein und etwas versteckt waren Code Orange Games untergebracht. Die junge niederländische Firma gab einen ersten Einblick in ihr Endzeit-Skirmish-Tabletop Collision. Ganz ohne Würfel, dafür mit einem Karten- und Bluff-Mechanismus treten hierbei kleine Trupps gegeneinander an. Dem Gelände kommt dabei eine ebenso große Bedeutung zu wie den Figuren selbst. Auf den ersten Blick ein interessantes, innovatives Spiel das derzeit, nicht wirklich überraschend, durch eine Kickstarter-Kampagne finanziert wird.
In einem der Durchgangsbereiche am Hallenrand hatten Monolith Board Games aus Frankreich ihren Platz gefunden und präsentierten mit Conan eine opulent ausgestattete Mischung aus Dungeon-Crawler, Strategiespiel und Ressourcenmanagement, der wahrscheinlich Ende des Jahres in den Handel kommt. Hier nahm ich mir tatsächlich die Zeit um eine kleine Einführung zu spielen, in der der Barbar und seine zwei Gefährten eine Prinzessin aus einem Dorf der Pikten befreien müssen. Sehr schön hat mir dabei das Ressourcen-Management gefallen, dass ich bei einem Spiel dieser Art eigentlich so nicht vermutet hätte. Ein sehr schön aufgemachtes, durchdachtes Spiel, dass auf den ersten Blick voll überzeugen kann und sicherlich in Kürze auf dem heimischen Spieltisch landen wird. Am gleichen Stand konnte ich schon einen ersten Blick auf Mythic Battles: Pantheon werfen, ein Skirmish-Tabletop, bei dem Götter und Sagengestalten ihre Schlachten gegeneinander austragen.
Der Uhrwerk Verlag hatte in diesem Jahr seine Standfläche mindestens verdoppelt um alle Neuerscheinungen für Splittermond und verschiedene anderen Rollenspiel-Systeme unterbringen zu können. Allerdings beließ ich es hier bei einer kurzen Unterhaltung mit dem Standpersonal. In drei Wochen auf der Dreieich Con, habe ich eine bessere Gelegenheit mir die Sachen in Ruhe anschauen zu können. Das Gleiche gilt auch für Ulisses Spiele, die nur wenige Meter weiter platziert waren. Das Schwarze Auge und Pathfinder standen in diesem Jahr wieder im Mittelpunkt, aber auch Tabletop-Spiele wie Warmachine/Hordes oder Brettspiele, beispielsweise Super Dungeon Explore und Ninja All-Stars konnten angetestet werden.


Auch die Comic Action war wieder in dieser Halle untergebracht, allerdings schrumpfte der Bereich mit den bunt bedruckten Heftchen im Vergleich zum letzten Jahr erneut. Ich kann nur vermuten, dass die Comic Con und die Buchmesse hier Ressourcen der Verlage binden. Einzig Panini Comics waren mit einem Verlagsstand vor Ort, boten Signierstunden und ihr umfangreiches Programm an. Ansonsten gab es noch die obligatorischen Stände einiger Händler zu sehen, bei denen Raritäten und Merchandise angeboten wurden. Die verschiedenen Zeichner und Illustratoren waren ungeschickterweise nicht an einer Stelle zu finden, sondern auf mehrere Standorte in der Halle verteilt und teilweise sehr versteckt. Neben einigen Postkarten und einem Poster für die Klotür hatten es mir die Zeichnungen von Ars Fantasio angetan und ich musste mir unbedingt zwei Kunstdrucke (natürlich mit cthuloider Thematik) mitnehmen.
Daneben gab es in der Halle zwar bei verschiedenen Händlern die Möglichkeit, kleine Skirmish-Tabletops anzuspielen, aber leider fehlte mir meist die Zeit. So konnte ich nur einen kurzen Blick auf die toll gestalteten Demotische für Wolsung, Dead Man's Draw (beide jetzt auch in deutscher Version), Batman Arkham City, Bushido und Infinity werfen, bevor ich weiter musste.
Allerdings konnte ich die Halle nicht verlassen ohne mir das Würfelangebot von Chessex und Qworkshop anzuschauen, die in diesem Jahr jedoch ausnahmsweise nichts für mich dabei hatten, von einem Satz Halloween-Würfel einmal abgesehen.




In der Halle 3 hatten sich einige der größten Verlage der Branche versammelt, um die Spieler mit einer regelrechten Flut an Neuheiten zu überwältigen. Das Gedränge in dieser Halle war die meiste Zeit über so dicht, dass ich kaum durch die Gänge kam, geschweige denn an einen Tisch zum Spielen. Glücklicherweise hatte ich Mittwoch schon bei Amigo einige Sachen anspielen können, so die beiden Neuheiten für die stetig wachsende Bohnen-Familien, Bohnedikt und Bohnanza – Das Duell, aber auch eher Spiele, die sich an den Nachwuchs richten, beispielsweise die kooperative Sammeltour Mino & Tauri.
Nicht nur, dass die Gänge in Halle 3 permanent verstopft waren, auch die Geräuschkulisse
schwoll, besonders am Samstag, bedrohlich an. Vor allem die Demogeber der Rollenspielrunden am Stand von Pegasus Spiele hatten dabei eine extrem undankbare Aufgabe zu erfüllen. Dennoch waren die Tische bei Shadowrun, H.P. Lovecrafts Cthulhu und der längst überfälligen Neuauflage des Piratenrollenspiels 7te See meistens gut besetzt. Da ich weder Zeit noch Nerven für eine Runde hatte, begnügte ich mich mit einem kurzen Schwatz und nahm mir die Kurzregelwerke mit, um in Ruhe ein bisschen über die Spiele nachlesen zu können. Die anderen, ausgesprochen zahlreichen, Neuveröffentlichungen des Verlags ignorierte ich allerdings weitgehend, da ich mir diese im Spieleladen meines Vertrauens oder in Kürze auf anderen Veranstaltungen in Ruhe anschauen kann.
Iello präsentierten in diesem Jahr zum ersten Mal die deutschsprachigen Versionen ihrer Spiele selbst, in den Jahren zuvor hatten sie dafür immer einheimische Partner gefunden. Die Unterwasser-Expedition Oceanos, wieder ein Spiel mit einem Draft-Mechanismus, richtete sich vor allem an jüngere Spieler und war schnell ausverkauft. Das Interesse an Sea of Clouds war ebenfalls groß und die Demotische für die Himmelspiraten waren alle vier Tage lang ausgebucht. Daneben gab es am Stand des französischen Verlages noch viele weitere Neuheiten, zahlreiche Signierstunden und ein Glücksrad mit kleinen Gewinnen.
Mittlerweile haben Portal Games aus Polen den Sprung auf den deutschen Markt gewagt und waren mit einem erstaunlichen großen Stand vor Ort. Die imposanten Brettspiele 51st State und Cry Havoc nahmen dabei einen zentralen Platz ein, waren aber auch permanent belegt. Daher begnügte ich mich mit einer Demorunde des kleinen Zwei-Personen-Kartenspiels Tides of Madness. Die Spieler versuchen hier über einen Draft-Mechanismus Karten zu sammeln und die aufgedruckten Symbolen entsprechend ihrer Aufgabe zu kombinieren. Die stimmigen, an den Cthulhu-Mythos angelehnten, Illustrationen werten das Spiel dabei zusätzlich auf. Gerne hätte ich mir noch bei Days of Wonder das Bauspiel Quadropolis oder die neueste Zug um Zug-Erweiterung angeschaut, aber auch hier schreckten mich die Menschenmassen eher ab.
Erst am Ende der Messetage, als sich die Hallen schon merklich geleert hatten, traute ich mich zu einem Abstecher an den Stand vom Sphinx Spieleverlag um dort meine beiden vorbestellten Exemplare von IÄÄ! Cthulhu! Fhtagn! abzuholen und auch gleich zu testen. Zwar kein Strategie-Kracher, aber dafür ein hübsches kleines, einfaches Würfelspiel bei dem es die Möglichkeit gibt seine Mitspieler zu ärgern.


In der Galerie, dem Übergang zwischen den großen und kleinen Hallen, waren traditionell viele Stände mit Speisen und Getränken untergebracht. Mit Gummibären, Schoko-Döner, asiatische Nudelgerichte oder einer schnöden Currywurst konnten sich ausgehungerte Spieler hier stärken, während der Nachwuchs mit Hüpfgestellen, Holzklötzen und einigen Zaubershows bespaßt wurde. Der Ravensburger Spieleverlag hatte einen Teil der Galerie dazu genutzt um einen Puzzleweltrekord (knapp über 40.000 Teile) aufzustellen, scheiterte aber wohl an wenigen hundert Teilen. Ein kleiner, abgetrennter Raum beherbergte eines der zahlreichen Escape-Spiele, in diesem Fall von Noris. Auch hier standen sich über vier Tage lang Besucher die Beine in den Bauch, die ihr Glück, Können oder Talent nutzen wollten um zu entkommen. Amigo hatten hier ebenfalls einen winzigen Stand aufgebaut, an dem die Spieler bei Ice Cool Pinguine auf der Jagd nach Fischen schnippen oder die beiden magnetischen Außerirdischen Mino & Tauri durch ein senkrecht stehendes Labyrinth führen konnten.


Mutete in den vorangegangenen Hallen die Platzierung der Aussteller schon recht willkürlich an, so bekamen die Besucher dies nochmals in der Halle 4 in komprimierter Form geboten. Händler mit Gebrauchtspielen standen hier neben Freßbuden, Vereinen und zumeist ausländischen Kleinstverlagen. Auch die Bandbreite der ausgestellten Spiele war erstaunlich: auf der einen Seite das traditionelle Go, im krassen Gegensatz dazu ein Fußball, der an einer Gummischnur durch die Gegend gekickt und geworfen wird und dessen genau Bezeichnung ich schon wieder verdrängt habe. Doch gab es in der schmalen, kleinen Halle durchaus einige Perlen zu entdecken, beispielsweise den heimlichen Publikumsliebling Topoum. Als Anführer eines Maulwurfsclans versuchen die Spieler ihr Territorium auszudehnen und die gegnerischen Maulwürfe zurückzudrängen. Dies, zusammen mit den niedlichen Illustrationen und vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges, ergibt ein lustiges, manchmal boshaftes aber immer unterhaltsames Spielvergnügen. Das auch Fantasy-Figuren gelegentlich feiern wollen setzen die Macher vom Orctoberfest voraus. Bratwurst, Brezeln und Bier gilt es hier möglichst schnell an die eigenen Spielfiguren zu bringen, während die anderen in der Schlange warten müssen. Das Spiel von Meeples Inc. macht einen recht originellen Eindruck, die Kickstarter-Kampagne zur Realisierung startet dann wahrscheinlich aber erst im Laufe des nächsten Monats. Bei 2Geeks gab es dagegen Im Schatten des Throns tatsächlich auch zu kaufen. In dem schnellen Kartenspiel geht es um Macht, Einfluss und die Kontrolle über wichtige Karten an einem mittelalterlichen Königshof. Optisch auf jeden Fall sehr ansprechend gestaltet, landete das Spiel spontan in meinem Rucksack und kommt sicherlich in Kürze zu einem ausführlichen Test auf den heimischen Spieltisch.


In meiner To-Do-Liste fanden sich nur wenige Einträge für die Halle 6, die etwas abseits vom Trubel lag und nur zur Hälfte genutzt wurde. Mein erster Anlaufpunkt waren die Herrschaften von Voodoo Games, bei denen ich ein (pünktlich fertig gestelltes) Kickstarter-Projekt, abholen konnte. Xibalba und die dazugehörige Generäle-Erweiterung waren erst am Tag vor der Messe angeliefert worden, zwei kleine Karten-Erweiterungen hatten es dagegen nicht mehr rechtzeitig nach Essen geschafft. Beide Autoren signierten, nachdem sie ihre anfängliche Zurückhaltung aufgegeben hatten, mein Exemplar und ich ließ mir vom Standpersonal eine kurze Einführung in das Spiel geben. Der Ausbau der eigenen Basis, die Rekrutierung von Soldaten und Zivilisten sowie die Ausbeutung einer außerirdischen Ressource stehen bei dem Spiel im Mittelpunkt. Die Kombination aus Würfel- und Kartenmechaniken funktioniert recht gut und alleine die Diesel-Punk-Optik, was auch immer man jetzt darunter verstehen mag, rechtfertigen zumindest einen Blick auf das Spiel. Meine zweite Anlaufstelle war der, nur wenige Meter daneben liegende, Stand von Scale75, einem spanischer Miniaturenhersteller. Neben zahlreichen Farbsets und der Figurenserie Smog Riders, niedliche Steampunk-Miniaturen in Chibi-Optik, gab es noch das SciFi-Tabletop Fallen Frontiers zu sehen. Gerne hätte ich hier eine kleine Demo angespielt, doch leider war der Tisch entweder besetzt oder kein Personal vorhanden und so musste ich mich mit einigen Fotos und einem Flyer begnügen. Davon abgesehen schlenderte ich relativ planlos durch die Halle und versuchte einen Bogen um den Stand mit den sehr geruchsintensiven Knoblauchbroten zu machen. Spiele wie Drinkopoly, Schmuseduell oder Die Partykracher sprachen mich ebenfalls nicht sonderlich an, auch das Programm der anderen Aussteller konnte mich nicht wirklich überzeugen und so machte ich mich nach einigen kurzen Gesprächen auf den weiteren Weg.


Die Halle 7 hatte dagegen schon ein paar interessante Anlaufstellen mehr zu bieten. So beispielsweise den Stand von Osprey Games. Eigentlich ein Ableger des auf militärhistorische Bücher spezialisierten Verlags haben sie in den letzten zwei Jahren ihr Spielsortiment extrem ausgebaut. Neben dem Skirmish-Tabletop Frostgrave oder der Neuauflage des über 40 Jahre alten Klassikers Escape from Colditz konnten hier auch einige, deutlich weniger militärisch orientierte Spiele angetestet werden. So versetzt Let them eat Cake die Spieler in die Wirren der französischen Revolution wo sie versuchen ihren Kopf vor der Guillotine zu retten, die Mitspieler ans Messer zu liefern und nebenbei auch noch das größte Stück vom Kuchen abzugreifen. Mit der richtigen Spielergruppe sicherlich sehr vergnüglich und schon für den nächsten Spielabend bereitgelegt. Daneben gab es noch einige kleinere Spiele, beispielsweise Odin's Ravens oder Secret Santa zu sehen, doch leider reichte meine Zeit dafür nicht aus. Viel mehr zog es mich zum Stand von Titan Forge, wo ich am Samstag endlich das heiß ersehnte Lobotomy abholen konnte, dass ich via Crowdfunding unterstützt hatte. Die Auslieferung hatte sich um einige Wochen verzögert und nur wenige Exemplare waren nach Essen geliefert worden. Auf ein Testspiel verzichtete ich jedoch und warf lieber einen intensiven Blick auf Vengeance. Das Spiel setzt Filme wie Kill Bill, Dirty Harry oder Ein Mann sieht rot recht treffend als Brettspiel um und mischt dabei Dungeon-Crawler- und Tabletop-Elemente. Die Spielrunde lief flüssig, machte Spaß und brachte das Film-Feeling ziemlich gut rüber; sicherlich ein Spiel, dass ich weiter im Auge behalten werde. Direkt nebenan drängten sich die Spieler bei Gray Fox Games um die kooperative viktorianische Verbrecher-/Monsterjagd London Dread. Auch hier wurde sehr viel Wert auf eine stimmige Optik gelegt, die Spielabläufe sind dagegen etwas gewöhnungsbedürftig. Den zahlreichen Testspielern schien es jedoch zu gefallen, war das Spiel doch bereits nach zwei Tagen ausverkauft. Leider waren auch hier die beiden Demo-Tische permanent belegt, aber nach Gesprächen mit den Autoren (und natürlich auch einigen Testspielern) packte ich die schwere Kiste ebenfalls in meine Tasche. Natürlich bot auch diese Halle viel mehr, beispielsweise das kuriose Kacke: Das Spiel, das extrem taktische Zwei-Personen-Kartenspiel Styx 666, oder Schäferstündchen (in dem die Spieler tatsächlich Schäfer oder eben Schafsräuber spielen). Recht versteckt in Halle 7 war auch die Packstation untergebracht, ein neuer Service des Messeveranstalters. Hier konnte die Besucher, die sich mit ihren Einkäufen leicht übernommen hatten, die Spiele direkt von der Messe aus nach Hause schicken lassen. Im Prinzip ein großartiger Einfall und eine echte Hilfe für obsessive Spielekäufer, nach den Preisen für diese Dienstleistung habe ich allerdings nicht gefragt...


Natürlich ist es hier nicht möglich alles aufzulisten, was es in den Hallen zu sehen gab - zu viele obskure, spannende, lustige oder auch einfach überflüssige Dinge hatten die Aussteller mitgebracht. So beispielsweise einen handgefertigten Spieltisch für den anspruchsvollen Brettspieler zum Preis eines Kleinwagens, Würfel in jeder erdenklich Form, Farbe und Seitenanzahl, LARP-Zubehör für jedwedes Setting oder auch Schaumstoffeinlagen für den Schutz der wertvollen Tabletop-Miniaturen. Während manche Aussteller, auch die kleinen, mit aufwändigen Ständen, Gewinnspielen und kostümiertem Personal versuchten auf sich aufmerksam zu machen begnügten sich andere mit einer Flipchart sowie einigen Buntstiften. Vom chaotischen Donnerstag abgesehen war die Stimmung an allen Tagen, trotz des Gedränges, sehr entspannt und ausgelassen. Zwar gab es immer wieder rücksichtslose Zeitgenossen, die mit ihren vollgepackten Bollerwagen oder Trolleys durch die Gänge walzten, aber auch daran hat man sich mittlerweile (leider) gewöhnt. Wirklich unangenehm wurde es jedoch, wenn man in einer Schlange hinter jemandem festgeklemmt war, der es mit der Körperhygiene nicht so genau nahm. Mehr als einmal stockte mir der Atem und ich konnte mich durch nur mit Mühe in einen der Innenhöfe retten. Ansonsten gab es pelzige Yetis zu sehen, die Flyer verteilten, junge Damen mit Regenbogensöckchen und einem Horn auf der Stirn gaben Demos und „fürsorgliche“ Eltern packten ihren Nachwuchs auf den Arm um den Kinderwagen vollladen zu können. Auffällig war, im Gegensatz zu den vorangegangenen Jahren, der Mangel an Gewandeten und Cos-Playern. Nur vereinzelt waren aufwändige Kostüme zu bestaunen, und wenn, dann meist nur beim Standpersonal.


Wie in jedem Jahr, so waren auch diesmal wieder einige Trends zu beobachten, auf die sich die Spielehersteller anscheinend alle gleichzeitig stürzten. Obwohl die Zombie-Welle mittlerweile eigentlich abgeklungen ist, kommen immer noch zahlreiche Spiele mit dieser Thematik auf den Markt. Einige davon sind wenig mehr als ein lauwarmer Aufguss schon bekannter Veröffentlichungen, andere punkten tatsächlich mit innovativen Ansätzen oder außergewöhnlicher Aufmachung, wie beispielsweise Z War One: Damnation oder das Kartenspiel Totenstadt.
Ein weiteres beliebtes Thema waren Spiele, die irgend einen Bezug zu Wikingern oder der nordischen Mythologie herstellten. Gefühlt an jedem dritten Stand gab es irgend etwas mit „Vikings“, „Odin“ oder „Norse“ im Titel zu kaufen. Die Bandbreite reichte dabei von Deckbuilding-Spielen über Tabletops und Strategiespielen bis hin zu kindgerechten Würfelspielen. Nach kurzen Runden mit dem wirklich sehr guten Blood Rage und dem etwas schwächeren In the Name of Odin hatte ich allerdings von Drachenschiffen und Methörnern genug und widmete mich einem anderen Trend, den sogenannten Escape-Spielen.
Bei dieser Art von Spiel sind die Spieler in einem Raum eingeschlossen und müssen unter Zeitdruck Aufgaben lösen um wieder zu entkommen. Ursprünglich als Event- oder Party-Spaß in speziellen Räumlichkeiten gedacht, machten sich mehrere Firmen daran, dieses Konzept auch in die heimischen vier Wände zu übertragen. Die Bandbreite reichte dabei, je nach Verlag, von winzig kleinen Schachteln mit ein paar Blatt Papier, beispielsweise Exit – Das Spiel bei Kosmos, bis hin zu ausgeklügelten technischen Apparaturen in die die Spieler Kunststoffschlüssel in der richtigen Kombination stecken mussten, so gesehen bei Escape Room – Das Spiel von Noris. Gemein war aber allen Spielen, dass sich lange Schlangen vor den Demo-Tischen und -Räumen bildeten und ich keine Möglichkeit sah, ohne übermäßig lange Wartezeiten, eine Testrunde zu ergattern. Sind die Rätsel allerdings erst einmal geknackt, so kennen die Spieler die Lösung, was die Angelegenheit ziemlich reizlos macht und mich bisher auch von Spielen dieser Art abschreckt.
Der Cartoonist John Kovalic hat vor einigen Jahren gesagt, dass alles besser wird mit Cthulhu. Und tatsächlich haben die Spieleverlage die Schöpfung des Autors H.P. Lovecraft für sich entdeckt. Ob dies nun eine neue Version von Pandemie ist oder das Kartenspiel Tides of Madness, das schnelle Würfelspiel IÄÄ! Cthulhu! Fhtagn! oder das CoSim Shadows over Normandie, überall hat der Große Alte seine Tentakel im Spiel. Im Rollenspielbereich kümmerten sich Pegasus Press und Chaosium um diese Thematik und sogar die Deutsche Lovecraft Gesellschaft war mit einem kleinen Stand vor Ort um ihr Vereinsmagazin zu präsentieren. Einigen dieser Spiele gelingt es tatsächlich so etwas wie einen Bezug zum Cthulhu-Mythos herzustellen, sei es nun inhaltlich oder optisch, doch die meisten scheitern daran und versuchen wahrscheinlich nur mit dem Namen ein paar schnelle Euros zu machen.
Ein letzter Trend der mir in diesem Jahr verstärkt auffiel war die schon beinahe inflationäre Präsenz von Dungeon-Crawlern. Bei dieser Art von Spiel bewegt sich eine Handvoll Helden durch ein mittelalterliches Verlies, ein havariertes Raumschiff oder eine verlassen Stadt, besiegt Gegnerhorden und sammelt dabei Schätze ein. War vor einigen Jahren das altehrwürdige HeroQuest praktisch der einzige Vertreter dieser Spielegattung, so gibt es mittlerweile eine riesige Auswahl. Die Hersteller liefern sich regelrechte Materialschlachten um Figuren, Bretter, Marker und die Komplexität der Spielregeln und ich bin sicher, in den kommenden Jahren wird dieser Trend noch weiter eskalieren. Die Konsolenspielumsetzung Dark Souls, die Endzeitvision The Others, das bereits erwähnte Conan, das Kampagnenspiel Star Wars: Imperial Assault oder das wahnsinnige Lobotomy aus Polen waren dabei nur einige, wenn auch besonders auffällige, Vertreter.



Laut den offiziellen Angaben des Messeveranstalters, dem Friedhelm Merz Verlag, kamen in diesem Jahr rund 174.000 Besucher und über 1.000 Aussteller mit fast 1.200 Neuheiten auf die Messe, was wiederum einen deutlichen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Von den nackten Zahlen abgesehen war auch für mich, rein subjektiv, die Steigerung deutlich spürbar. Ich fahre nun seit über 20 Jahren auf die Messe und habe nie ein solches Gedränge erlebt. In den Hallen der „großen“ Verlage war es kaum möglich einen Platz an den Demotischen zu ergattern und selbst der Weg durch die Gänge war mühsam. Erst am späten Nachmittag gab es hier die Möglichkeit Spiele ohne längere Wartezeiten auszuprobieren und sich die Neuheiten in Ruhe anzuschauen.

Eine besondere Erwähnung verdient die chaotische Anreisesituation am Donnerstag. Die Messehalle in Sichtweite mussten viele Besucher, aber auch zahlreiche Aussteller, mitunter stundenlang warten bis sie sich zu einem Parkplatz vorgearbeitet hatten. Für wenige Kilometer Anreise wurden durchaus zwei Stunden oder mehr benötigt. Selbst der Öffentliche Nahverkehr war mit der Situation heillos überfordert. Erst als gegen Mittag die Polizei ordnend eingriff entspannte sich die Lage ein wenig. Dennoch war an diesem ersten Tag die Stimmung gedämpft, teilweise sogar aggressiv. Glücklicherweise waren die Verantwortlichen in der Lage, die Anreisesituation in den darauf folgenden Tagen ein wenig zu entschärfen und so kam es nicht mehr zu diesen massiven Behinderungen.
Dennoch kann ich mich langsam nicht des Eindrucks erwehren, dass die SPIEL in den Grugahallen langsam an ihre Kapazitätsgrenzen stößt, sowohl was die Besucher- aber auch die Ausstellerzahlen angeht.

Freitag, 7. Oktober 2016

Madness; RuhrCongress; Bochum

[Konzert] Madness
Support: The Frits
Dienstag, 4. Oktober 2016
RuhrCongress, Bochum


Eine meiner ersten Musik-Cassetten (die komischen schwarzen Plastikkästchen mit zwei Löchern und einem Magnetband) war Keep Moving von Madness aus dem Jahr 1984. Nicht unbedingt das beste/typischste Album der Band, aber für mich war es der Einstieg in die Musik des Septetts aus London. In kurzen Abständen folgten die anderen Alben (diesmal auf Platte) und auch andere Künstler aus dem Ska-Genre wanderten schließlich in meine stetig wachsende Sammlung. Leider hatte ich nie Gelegenheit gehabt die Band live zu erleben, waren die wenigen Konzerte in den letzten Jahre doch meist auf London beschränkt. Daher überraschte mich die Ankündigung, dass Madness, inzwischen zum Sextett geschrumpft, im Rahmen einer Promo-Tour für ihr neues Album auch für zwei Termine nach Deutschland kommen würden. Ohne lange nachzudenken buchte ich Tickets und Hotel für Bochum, da das Konzert in Berlin aus verschiedenen Gründen für mich nicht in Frage kam. Nun musste ich nur noch das halbe Jahr bis zu dem Termin irgendwie überbrücken. Glücklicherweise sind Konzerte von Ska-Bands im Rhein-Main-Gebiet keine Seltenheit, daher hatte ich genug Möglichkeiten mich bis Oktober einzustimmen, beispielsweise erst Ende September mit den wirklich großartigen Buster Shuffle.

Die Fahrt nach Bochum verlief trotz der zahlreichen Baustellen erfreulich unproblematisch, auch das Zimmer im Ramada ging für den Preis durchaus in Ordnung, auch wenn ich in der Hinsicht mittlerweile doch etwas verwöhnt bin. Bis zum Konzert blieben mir noch ein paar Stunden, die ich für eine kleine Sightseeing-Tour durch die Bochumer Innenstadt nutzen wollte. Viel zu sehen gab es hier nicht, von einer erstaunlich großen Zahl an Süßwaren-Outlets und der Freßmeile Bermuda3eck abgesehen. Wieder zurück im Hotel war ich dankbar ein Zimmer im Erdgeschoß zu haben, war der Fahrstuhl doch noch immer defekt.

Nach einer kurzen Verschnaufpause schnürte ich schließlich meine Doc Martens und schlenderte die paar Meter zum RuhrCongress, dessen Türen sich um 19 Uhr öffnen sollten. Der Besucherandrang hielt sich in einem sehr überschaubaren Rahmen und vielleicht hundert Leute standen vor der Halle, tranken, rauchten und unterhielten sich miteinander. Offensichtlich waren auch viele Fans aus den umliegenden Ländern angereist, konnte ich doch Gesprächsfetzen in den unterschiedlichsten Sprachen auffangen.

Recht pünktlich wird uns Einlass gewährt, und die, mittlerweile etwas angewachsene, Menge schiebt sich geordnet in die Räumlichkeiten. Ich lasse den Merchandise-Stand und die Bar schnell hinter mir und gehe direkt in den Saal um noch einen Platz direkt an der Absperrung in wenigen Metern Entfernung zur Bühne zu bekommen. Immer mehr Besucher strömen nun in den Innenraum auch die beiden Emporen füllen sich stetig und als um 20 Uhr die Lichter ausgehen ist die Halle fast komplett voll.



Den Einheizer geben an diesem Abend The Frits, die in Bochum praktisch ein Heimspiel haben. Unterstützt wird die achtköpfige Band dabei durch den allgegenwärtigen Dr. Ring Ding an der Posaune, den ich damit in diesem Jahr schon zum dritten Mal mit drei verschiedenen Bands gesehen habe. Die Herren eröffnen mit "Concrete Jungle", eher eine Rockabilly-Nummer, ihr Set und das Publikum wippt beinahe vom ersten Ton an mit. Neben eigenen reinrassigen Ska-Stücken aus der mittlerweile über 30jährigen Bandgeschichte, wie "Hey Girl", "Streetfighter" oder "Little Idiots", geben sie auch zwei Cover-Versionen zum Besten. "Rat Race", im Original von The Specials gehört bei vielen Bands des Genres zum festen Repertoire und wird vom Publikum entsprechend gefeiert. Etwas überrascht hat mich dagegen die locker-leichte Version von "Always Look On The Bright Side Of Life" mit der sich The Frits nach etwas mehr als einer halben Stunde von der Bühne verabschieden. Trotz der zahlreichen und lautstarken Rufe nach einer Zugabe bleibt die Band leider im Backstage-Bereich verschwunden, was zwar schade aber, angesichts des straffen Zeitplans, nicht unerwartet ist.

Nach einer erstaunlich kurzen Umbaupause verdunkelt sich um ziemlich genau 21 Uhr die Bühne und ein zuckersüßes Intro vom Band wird eingespielt, ziemlich rüde unterbrochen von Sirenen und verzerrten Soundschnipseln.

Verstärkt von einer dreiköpfigen Bläsersektion betreten die verbliebenen Bandmitglieder, Cathal Smyth aka Chas Smash hat die Band vor einiger Zeit verlassen, im Anzug und mit Hut die Bühne und geben mit "One Step Beyond" aus dem Jahr 1979 die Richtung vor. Saxophonist Lee Thompson balanciert am Bühnenrand und schlendert von einer Ecke zur anderen bevor er seinen Platz findet. Beim folgenden "Embarrassment" ist Sänger Suggs McPherson stellenweise schwer zu verstehen, aber das Publikum singt laut genug mit um diese kleine Panne zu kaschieren. Im Gedenken an das kürzlich verstorbene Ska-Urgestein Prince Buster spielt die Band "The Prince", seinerzeit ihre Debüt-Single. Dazwischen macht Suggs seine Späße mit dem Publikum, liefert kleine Tanzeinlagen, begrüßt das Publikum auf spanisch, kündigt einige Cover von One Direction an, nur um dann doch "NW5" vom 2009er Album The Liberty Of Norton Folgate zu spielen. Nach einigen Frotzeleien innerhalb der Band folgen mit "My Girl", "Take It Or Leave It" und "Wings Of A Dove" Stücke aus den frühen 80ern, die vom Publikum entsprechend gefeiert werden. Die meisten Besucher beschränken sich darauf, zur Musik zu wippen und mitzusingen, was weitgehend dem fortgeschrittenen Alter geschuldet sein dürfte. Nur vereinzelt wird ausgelassen getanzt und gesprungen, allerdings in einem sehr überschaubaren, zivilisierten Rahmen – da bin ich durchaus Schlimmeres gewohnt.

Mit "Herbert" spielen Madness dann das erste Stück vom Album Can't Touch Us Now, das Ende Oktober erscheinen wird. Das Lied lässt ein wenig den Schwung vermissen, ist aber doch sehr entspannt und eingängig, was mir (und wohl auch den anderen Zuschauern) recht gut gefällt. Wieder zurück in die 80er geht es mit "The Sun And The Rain", eine großartige Schunkelnummer bei der praktisch die ganze Halle im Takt mitwippt. Auch eine Cover-Version hat es in die Setlist des Abends geschafft: mit "I Chase The Devil" von Max Romeo spielt die Band fast klassischen Reggae, bei dem das Saxophon eine extrem exponierte Stellung einnimmt. Letzte Woche hatten die großartigen (und deutlich jüngeren) Buster Shuffle bei einem Konzert im Wiesbadener Schlachthof dem selten gehörten Stück eine völlig andere Richtung und deutlich mehr Druck verpasst. Schwer zu sagen, welche der beiden Varianten nun die bessere war. Das Titelstück des neuen Albums "Can't Touch Us Now" groovt, ist melodisch und durchaus tanzbar, verfügt aber auch über einige melancholische Untertöne. Eine schöne Nummer, die nahtlos mit viel Bläsern und Keyboard an die klassischen Stück anknüpfen kann. Der "nutty sound", das frühe Markenzeichen der Band, kommt bei "Bed And Breakfast Man" vom Debüt zum ersten Mal an diesem Abend richtig durch. Mittlerweile steht niemand mehr im Saal still, die Herrschaften auf den Sitzplätzen der Empore einmal abgesehen und auch bei "Shut Up" zählen alle artig bis drei und feiern mit der Band. Erneut wird Prince Buster bemüht, diesmal mit einem Cover von "Girl Why Don't You?", wieder sehr reggaelastig aber durchaus tanzbar. 


 Während der Rest der Band die Bühne verlässt um Getränke nachzufüllen und den Schweiß zu trocknen bleibt Gitarrist Chris Foreman alleine zurück und singt mit Halbplayback und sehr viel Enthusiasmus "Highway To Hell". Erholt und motiviert kommen Madness zurück, und liefern mit "House Of Fun" wohl eines der bekanntesten und erfolgreichsten Stücke ihrer Geschichte. Auch nach gut 30 Jahren funktioniert das Lied immer noch ganz hervorragend und tatsächlich kommt jetzt auch wirklich Bewegung ins Publikum. Das es noch etwas schneller geht beweist das folgende "Baggy Trousers", eines meiner Lieblingsstücke. Nur folgerichtig das die Band noch "Our House" nachlegt, über das eigentlich keine Worte verloren werden müssen. Das deutlich ruhigere "It Must Be Love" leitet das Ende des Sets ein und die Musiker verschwinden im Anschluss hinter die Bühne.
Nach einer angemessenen, glücklicherweise nicht zu langen, Pause beginnt die Zugabe mit "Mr. Apples" vom neuen Album. Das Stück fügt sich nahtlos in das restliche Repertoire der Band ein und hätte auch auf einem der frühen Alben seinen berechtigten Platz gehabt. Für den Endspurt müssen "Madness" und "Night Boat To Cairo" herhalten, mit denen die Band sich, das Publikum und den Abend feiert. Hier wird noch einmal richtig Gas gegeben und im kompletten Saal ist Bewegung, sogar auf den Rängen wird (ein kleines bisschen) gefeiert.

Nach nicht ganz 90 Minuten verabschieden sich Madness dann endgültig vom Publikum und lassen sich auch durch noch so viel Rufe und Klatschen nicht zu einer weiteren Zugabe bewegen. Schade eigentlich, aber dafür, dass die Herren mittlerweile alle stramm auf die 60 zugehen haben sie, vor allem Suggs McPherson und Lee Thompson, eine ziemlich tolle Show geboten, viel mit dem Publikum gearbeitet und ihre Späße gemacht. Die Menge strömt schließlich in Rekordzeit aus der Halle nur um dann im Vorraum die Theke, die Garderobe und den Merchandise-Stand zu belagern. Ich drängele mich ebenfalls am Tisch um mir die Auslage ansehen zu können. Die Auswahl an Shirts ist recht umfangreich und groß, gleiches gilt leider auch für die Preise die hier aufgerufen werden. Tonträger finden sich leider gar nicht und die Kosten für ein Polo-Shirt oder gar einen Hoodie finde ich schon recht grenzwertig. Also spare ich lieber mein Geld und nehme mir vor, dieser Tage einen Blick in den gut sortierten Online-Shop der Band zu werfen.

Langsam macht sich bei mir eine gewisse Müdigkeit breit und nachdem ich ein paar Minuten vergeblich in der Hoffnung ausgeharrt habe, dass sich die Musiker blicken lassen kehre ich der Halle den Rücken. Glücklicherweise sind es nur ein paar Meter vom RuhrCongress bis zum Hotel und so kann ich schon bald müde, kaputt, aber glücklich und zufrieden auf die Matraze sinken.

Die Song-Auswahl war eine gelunge Mischung aus vielen alten Stücken, aufgelockert mit noch unveröffentlichtem Material vom kommenden Album sowie einigen Cover-Versionen von Ska- und Reggae-Legenden, die die Band als The Dangermen vor einigen Jahren bereits eingespielt hat. Ein paar Lieder habe ich zwar schmerzlich vermisst, so beispielsweise "Drip Fed Fred" oder "Uncle Sam", aber ich will mich nicht beschweren, die Setlist war toll und es war für jeden etwas dabei. Zudem hatte man zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass Madness hier einfach nur ein paar Lieder runterschrubben um ein bisschen Kohle einzufahren. Die Musiker hatten, zumindest sah es für mich danach aus, tatsächlich Spaß daran auf der Bühne zu stehen und sich vom Publikum feiern zu lassen.

Sehr interessant fand ich die Publikumszusammenstellung: Die meisten Besucher waren deutlich über 40, teilweise sogar mit dem Nachwuchs im Schlepptau. Aber auch genug Leute irgendwo zwischen 20 und 30, die eigentlich zu jung sind um die Hochzeiten der Band mitbekommen zu haben, hatten sich eingefunden. Obwohl es im Saal und besonders vor der Bühne doch recht eng wurde, blieben die befürchteten wilden Tanz- und Spring-Attacken aus, auch um Bierduschen kam ich herum. Konzerte mit einem hohen Altersdurchschnitt haben doch tatsächlich ihre guten Seiten.
Technisch gab es an dem Konzert ebenfalls kaum etwas auszusetzen. Zumindest direkt vor der Bühne war der Sound sehr gut, selbst wenn Mr. McPherson hin und wieder von den Bläsern, besonders vom Saxophon, übertönt wurde. Die Bühnenbeleuchtung war, abgesehen vom ersten Stück, eher dezent und stimmig auf die jeweiligen Lieder angepasst, setzte die einzelnen Musiker in Szene oder richtete sich gelegentlich ins Publikum.

Von nur einigen winzigen Schönheitsfehler abgesehen beweisen Madness, dass sie noch im fortgeschrittenen Alter durchaus in der Lage sind eine tolle Show zu bieten, auch wenn die Exzesse früherer Jahre wohl endgültig der Vergangenheit angehören.