Sonntag, 15. Mai 2022

Marc Almond; Capitol; Offenbach


[Konzert] Marc Almond

13. Mai  2022
Capitol, Offenbach

 

Eigentlich war die kleine Deutschland-Tour von Marc Almond als Promo für das 2020 erschienene Album Chaos and a Dancing Star gedacht. Nach „nur“ drei Verlegungen und mit etwas über zwei Jahren Verspätung konnte das Auftakt-Konzert im Offenbacher Capitol nun endlich stattfinden. Für mich allerdings von Vorteil, da die vorangegangenen Termine bei mir ausnahmslos nicht geklappt hätten. So machte ich mich relativ kurzentschlossen am frühen Freitagabend auf den Weg nach Offenbach, um den ersten der vier Auftritte in Deutschland zu sehen.

Das Konzert

Die vierköpfige Begleitband, bestehend aus Schlagzeug, Bass, Piano/Keyboard und Gitarre betritt die blau ausgeleuchtete, neblige Bühne. Nach einer kurzen Pause tritt dann auch Marc Almond, ganz in schwarz gekleidet, ans Mikrofon.

Ohne Einleitung geht es direkt mit „The Stars We Are“ vom gleichnamigen 1988er Album los. Danach folgen die eigentliche Begrüßung und eine kurze Anmoderation des Sängers, bevor es mit „Tears Run Rings“ aus dem gleichen Jahr weitergeht. Bei beiden Stücken stimmt die Balance zwischen dem Gesang und den Instrumenten nicht ganz. Vor allem Klavier und Schlagzeug sind phasenweise doch sehr mächtig. Direkt im Anschluss verschwindet Herr Almond hinter der Bühne. Kurz darauf taucht er wieder auf – allerdings mit Sonnenbrille. Die Bühnenbeleuchtung macht ihm anscheinend zu schaffen.


Weiter geht es mit „Black Sunrise“ vom letzten Solo-Album. Hier sitzen grade die hohen Töne stellenweise nicht richtig – was jedoch fortschreitenden Verlauf des Konzertes deutlich besser wird. Eine herausragende Rolle übernimmt bei dem Lied der Gitarrist Neil Whitmore (eher bekannt als Neil X). Nicht nur singt er Backing Vocals und Refrain, sondern spielt zum Ende ein tolles Solo. Die Studio-Version kann man sich HIER anhören. Vom gleichen Album stammt auch „When the Stars are Gone“ – von dem ich leider nicht sooo viel mitbekomme. Die kleine Gruppe, die vor mir sitzt, unterhält sich angeregt über irgendwelche Familienneuigkeiten. Etwas ruhiger wird es dann, als sich die halbe Reihe verabschiedet, um ihren Plausch wohl an der Theke fortzusetzen.

Trotz des Titels ist „Bitter Sweet“ eine der eher lockeren Nummern des Sets. Und tatsächlich erheben sich einige der Gäste von ihren Sitzen und tanzen (wenn auch verhalten) vor ihren Stühlen und in den Gängen. Mittlerweile hat sich das Gleichgewicht zwischen Gesang und Instrumenten eingependelt.
Im Anschluss plaudert Marc Almond ein wenig über Auftritte und Touren und entschuldigt sich für etwaige Anlaufschwierigkeiten. Immerhin sei dies das erste Hallenkonzert der Band seit über zwei Jahren.


„Under Your Wing“, veröffentlicht 2001, dreht gehörig an der Drama-Schraube; Streicher vom Band verstärken diesen Eindruck. Für mich zwar eines der schwächeren Stücke des Sets, aber dem restlichen Publikum gefällt es anscheinend. Die folgenden „Dreaming of Sea“ und „Hollywood Forever“ stammen wieder vom aktuellen Solo-Album, während „Sandboy“ auch schon zehn Jahre alt ist. Die Stücke sind allesamt etwas ruhiger gehalten und leben vom Zusammenspiel zwischen Gesang und Piano. In diese, eher verhaltene, langsamere Phase des Konzertes reiht sich „Little Dreamer“, eine Live-Premiere nahtlos ein.

Mit „Black Heart“, ursprünglich aufgenommen 1983 mit Marc and the Mambas (und nebenbei eines meiner Lieblingsstücke), kommt deutlich mehr Schwung in das Set. Die musikalische Untermalung liefert neben Flamenco- und Country-Elementen ein orgelndes Keyboard und druckvolleren Gesang.

Vor gut zwei Wochen haben Soft Cell, das Synthie-Pop-Duo, mit dem der Sänger in den frühen 1980er Jahren bekannt wurde, neues Material veröffentlicht. Happiness Not Included, das erste Album der Band seit 2002, konnte sich relativ hoch in den britischen Charts platzieren. Grund genug, zwei der Stücke live zu spielen. „Purple Zone“, eine Kooperation mit den Pet Shop Boys, präsentiert sich hier als minimalistische Klavier-Ballade. Ein maximaler Kontrast zum Album-Track und für mich eindeutig die bessere Variante. Das Publikum ist zwar beim Refrain noch nicht ganz textsicher – aber das gibt sich hoffentlich bei kommenden Auftritten. Bei „Light Sleepers“ bekommt dagegen die ganze Band etwas zu tun. Besonders die entspannte Gitarrenarbeit hinterlässt hier einen bleibenden Eindruck.


Danach folgt eine ganze Reihe älterer, bekannter Stücke, beispielsweise „The Days of Pearly Spencer“ und „Something’s Gotten Hold of My Heart“. Beides Cover-Versionen, zählen sie zu den größten Erfolgen in Marc Almonds Solo-Karriere. Besonders freut mich, dass auch „Bedsitter“ seinen Platz in der Setlist gefunden hat.

Mit „Chaos“ und „Slow Burn Love“ gibt es die letzten zwei Stücke von Chaos and a Dancing Star zu hören. Beide sind ungewöhnlich optimistisch und schwungvoll, so dass dem Großteil des Publikums keine Gelegenheit bleibt, sich wieder zu setzen. Neil X unterstützt erneut beim Gesang, während die anderen Mitglieder ihr Können unter Beweis stellen.

Den Abschluss des regulären Teils des Auftrittes übernimmt „Jacky“, das wahrscheinlich schnellste und tanzbarste Stück des ganzen Konzertes. Für das Jacques Brel-Cover wird wieder einmal auf Streicher vom Band gesetzt, die dem Lied seine charakteristische Struktur verleihen.
Anschließend verabschiedet sich die Band rasch von der Bühne, nur um genauso schnell wieder aufzutauchen.

Nach einigen Worten zu den Auswirkungen der Pandemie auf Künstler und Veranstalter, Dankesworten an die Techniker und etwas Smalltalk startet die Zugabe. „John, I’m Only Dancing“, im Original von David Bowie sticht vor allem durch die akustische Gitarre und das psychedelische Keyboard hervor. Darauf folgt das unvermeidliche Highlight des Konzertes: „Tainted Love“ – für mich die Definition von Synthie-Pop! Aber auch mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Keyboard funktioniert das Stück hervorragend. Mittlerweile steht tatsächlich der ganze Saal und sogar auf der Empore wird ausgiebig getanzt.



Mit „Say Hello, Wave Goodbye“ neigt sich das Konzert seinem unvermeidlichen Ende entgegen. Das Publikum ist nun auch textsicher und unterstützt den Sänger nach Kräften. Schließlich folgt noch die Vorstellung der vier Mitmusiker: Für Piano und Keyboards zuständig Martin Watkins, den Name des Bassisten habe ich leider nicht verstanden, am Schlagzeug Hugh Wilkinson und schließlich an den Gitarren Neil X. Meines Wissens nach alles langjährige Weggefährten von Marc Almond.

Entgegen meiner Vermutung war dies jedoch nicht das Ende des Sets – eine letzte Cover-Version folgt. „Children of the Revolution“ präsentiert sich ungewohnt rockig und braucht sich nicht zu verstecken. Vor allem die Gitarre trägt hier die Hauptlast, während Bass und Schlagzeug die Zwischenparts dominieren.

Erst danach endet das fast zweistündige Konzert und die Halle leert sich fast augenblicklich. Die meisten Gäste finden sich anschließend an der Bar ein, um den Abend entspannt ausklingen zu lassen. Nach einem kurzen Plausch mit Bekannten und einem letzten Getränk mache ich mich dann auch recht zeitnah auf den Heimweg.

Wie war’s?

Im Nachhinein bin ich froh, doch nicht auf das Konzert ins Düsseldorfer Stahlwerk gegangen zu sein. Die leicht plüschige und heimelige Atmosphäre des Capitol kam dem Auftritt doch sehr entgegen. Der bestuhlte Saal passte ebenfalls zum eher gesetzten Alter des Publikums. Die Beleuchtung blieb meist dezent und war in kühlen Tönen gehalten. Wenn dann jedoch mehrfarbige Spots oder Lichtspiele zum Einsatz kamen, war der Effekt umso größer. Der Sound war meist gut und ausgewogen, lediglich am Anfang gab es einige Abstimmungsschwierigkeiten, so dass der Gesang phasenweise schlecht zu verstehen war. Nach zwei Stücken hatten aber sowohl die Band als auch die Techniker die richtige Balance gefunden.


In den gut zwei Stunden gab es Pathos, Drama, ein wenig Kitsch, aber auch grandiosen Pop und die eine oder andere rockige Nummer. Der Schwerpunkt des Sets lag, wie ursprünglich geplant, auf den Stücken von Chaos and a Dancing Star. Dennoch gab es genug Raum für einige Klassiker, Cover-Versionen und Raritäten. Ein besonderes Schmanckerl waren natürlich die beiden Lieder vom neuen Soft Cell-Album – die hier, glaube ich, ihre Live-Premiere hatten. Insgesamt eine sehr gelungene Auswahl, die sich über 40 Jahre und verschiedene Genres erstreckte.

Es war keine Frage, wer beim Konzert im Mittelpunkt stand: Marc Almond und seine grandiose Stimme. Einzig mit Neal X teilte er sich gelegentlich das Rampenlicht. Der Rest der Band blieb die meiste Zeit dezent im Hintergrund und erledigten ihren Job – das allerdings sehr ordentlich. Die zahlreichen kleinen Anekdoten und Erklärungen zu den verschiedenen Stücken machten den Sänger sehr sympathisch und gaben dem Konzert eine persönliche Note.

Im direkten Vergleich gefallen mir die meisten Stücke live tatsächlich besser als in der jeweiligen Studio-Version. Ob dies nun am Ambiente des Konzerts, an der Interpretation oder der Bühnenpräsenz von Marc Almond lag, lässt sich schlecht definieren – wahrscheinlich war es eine Kombination daraus.

Und wer schnell ist, kann noch eines der beiden verbliebenen Deutschland-Konzerte in Berlin besuchen…

Vielen Dank an Lars Berndt Events für die die schnelle Akkreditierung und natürlich die Organisation dieses tollen Konzertes.

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