Donnerstag, 12. September 2013

Emilie Autumn; Schlachthof; Wiesbaden

[Konzert] Emilie Autumn
Dienstag, 11. September 2013
Schlachthof, Wiesbaden

Emilie Autumn macht unbestreitbar recht gewöhnungsbedürftige Musik, teils klassisch, teils elektronisch, dabei immer etwas schräg mit einer Vorliebe für morbide Texte. Was ich bisher von der Dame gehört habe, ist zwar interessant, trifft aber eigentlich so gar nicht meinen Musikgeschmack. Allerdings wurde mir von einer Bekannten wärmstens ein Besuch der Live-Show angeraten, sollte sich diese Gelegenheit einmal bieten. Und da Frau Autumn im Rahmen ihrer aktuellen Fight Like A Girl-Tour einen kurzen Zwischenstopp in Wiesbaden einlegt, wollte ich mir dies nicht entgehen lassen.

Um 19 Uhr öffnen sich die Tore des Schlachthofs und mir wird beim Anblick der langen Schlange etwas mulmig, da ich es (wieder einmal) versäumt habe, mir die Karten für das Konzert im Vorverkauf zu sichern. Doch meine anfänglichen Bedenken sind unbegründet. So ist die große Halle zwar gut besucht, aber noch ein ganzes Stück davon entfernt wirklich voll zu sein. Nachdem ich mir meine Karte gesichert habe, ist noch fast eine Stunde Zeit und so gehe ich wieder zurück ins 60/40, das Bistro des Schlachthofs. Zum Glück kann ich einen der Fensterplätze ergattern und habe so einen guten Ausblick auf die Besucher, die sich ihren Weg durch die großen Pfützen in Richtung der Halle bahnen: Herren im Anzug sind dabei genauso vertreten wie Damen in viktorianischer Abendgarderobe, Punks mit lustig hochtoupierten Haaren, einige Grufties in Lack und Leder und Menschen in normaler Straßenkleidung. Allein vom Publikum her dürfte es also zumindest ein interessanter Abend werden.

Kurz vor 20 Uhr gehe ich dann auch in Richtung der Halle, um mir noch einen ordentlichen Platz zu sichern. Das Gedränge am Merchandise-Stand hält sich im Rahmen, doch außer einigen Shirts und etwas Schmuck gibt es dort nichts Interessantes zu entdecken. Große Erwartungen weckt dagegen die Bühnendekoration: Ein Gestell mit einem schmiedeeisernen Tor dominiert die Bühne, rechts davon befindet sich ein kleiner Beistelltisch mit einer stilvollen Teekanne und einem Korb mit Muffins (wobei hier natürlich Scones passender gewesen wären). Auch links steht ein kleiner Tisch, dieser allerdings ohne größere Dekorationen. Pünktlich um 20 Uhr verlöschen dann die Lichter im Saal, lediglich die Beleuchtung der Notausgänge und die Laternen auf der Bühne sorgen dafür, dass die Halle nicht in völliger Finsternis versinkt. Als musikalische Untermalung läuft derweil eine Auswahl verschiedener Music Hall- und Vaudeville-Stücke aus den 20er und 30er Jahren und sorgt bei den Zuschauern für eine entspannte Atmosphäre. Im Nachhinein könnte man auch sagen, dass wir in Sicherheit gewiegt werden sollten, denn unvermittelt weicht die Dunkelheit grellen Stroboblitzen und die Musik wird durch heftiges Geschepper abgelöst. Nachdem sich so die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf die Bühne konzentriert, entert Emilie Autumn zu den Klängen von „Fight Like A Girl“, dem Titelstück des letzten Albums die Bühne. Verstärkung bekommt sie dabei von Captain Maggot und Veronica Varlow, beides Mitglieder ihrer Begleitband „The Bloody Crumpets“. Gekleidet sind die drei in eine wilde Mischung aus Pippi-Langstrumpf-Look, viktorianische Unterwäsche und Piratenkostüme und in jedem Fall ein Blickfang. Die Damen nehmen den Zuschauer an diesem Abend mit auf einen Besuch in das „Asylum for Wayward Victorian Girls“. Um diese Irrenanstalt und deren Insassen dreht sich alles in den folgenden beinahe zwei Stunden. Hat Frau Autumn zu Beginn des Auftritts noch einen imposanten Kopfschmuck, so wird sie dessen von ihren beiden Mitstreiterinnen im Laufe des bitterbösen und musikalisch heftigen „Time for Tea“ beraubt. Einen Ruhepunkt in dem bisher wilden Treiben setzt das beschauliche und fast ausschließlich mit Klavier und Violine instrumentierte „What Will I Remember?“.
Hier haben sowohl die Künstler als auch das Publikum Zeit, einen kurzen Moment zu verschnaufen. Ebenso ruhig ist „Take The Pill“ ausgefallen, bekommt aber durch das Geschehen auf der Bühne und den Text eine recht beklemmende Wirkung. So wird die Sängerin doch in eine Zwangsjacke eingeschnürt und der Song steigert sich zu einem irren Finale. Ebenfalls nicht unbedingt vor Lebensfreude sprüht das folgende „The Art Of Suicide“. An diesen doch eher düsteren Teil des Auftritts schließt sich ein etwas lockerer Part an. Dabei macht Captain Maggot ihre Späße mit dem Publikum und stellt ihre Mitstreiterinnen vor, während Veronica Varlow unter Zuhilfenahme von zwei Fächern mit Straußenfedern eine gelungene Tanzeinlage abliefert. Danach machen sich die drei Damen etwas über anzügliche Fan-Fiction lustig, was dann in dem „Ratty Game“ mündet, bei dem Veronica über eine der Zuschauerinnen herfallen darf. Damit wird das Publikum schließlich in die wohlverdiente Pause entlassen, bei der die Möglichkeit besteht, den Flüssigkeitspegel wieder aufzufüllen oder draußen ein paar Lungenzüge voll frischer Abendluft zu schnappen.

Wie angekündigt ist die Pause tatsächlich recht kurz und „Girls! Girls! Girls“, eine reinrassige Revue-Nummer, leitet den zweiten Teil der Show ein. Emilie Autumn ist mittlerweile in burschikose Kleidung geschlüpft und hat so erneut die Rollen gewechselt. Anstatt selbst den Part der Irren zu übernehmen, gibt sie den Zuhälter, der die Mädchen der Anstalt an gutsituierte Herren vermietet. Damit ist dann auch wieder Zeit für eine kleine Showeinlage, diesmal lässt Captain Maggot zu den Klängen von „We Want Them Young“ einen brennenden Reifen um Bauch und Hals kreisen, was den anderen die Gelegenheit zu einem neuerlichen Kostümwechsel gibt. Eines der Highlights für mich ist das bedrohlich aus den Boxen dringende „Scavenger“, das die lockere Atmosphäre in der Halle wieder durch Beklemmung ablöst. Verstärkt wird dieses Gefühl noch durch die finstere Gestalt, die auf Stelzen hinter der Sängerin herstakst und sie zum Finale des Stücks konfrontiert. Etwas versöhnlicher ist dagegen wieder „Gaslight“ angelegt, das klassisch instrumentiert, wieder mit Violinen und einen (wenn auch elektronischen) Spinett aufwarten kann. Langsam neigt sich der Abend seinem Ende und auch das Stück auf der Bühne steuert seinem Höhepunkt entgegen. In „The Key“ gelingt es den Insassen endlich aus den Zellen zu entkommen und sich gegen ihre Peiniger, die Ärzte und Pfleger zu erheben. Und in „One Foot In Front Of The Other“ marschieren sie letztendlich in die lang ersehnte Freiheit und damit dem letzten Stück des Auftritts entgegen.

Ich weiß nicht genau, wie ich den Auftritt beschreiben soll: Musical, Revue, Cabaret, Performance, Konzert oder alles zusammen. Eigentlich ist es nicht möglich, diesen Abend in Worte zu fassen und auch die Musik von Emilie Autumn auf CD kann nicht die Stimmung vermitteln, die in der Halle herrscht. Die Zuschauer hatten Spaß und auch die drei Damen auf der Bühne haben sich mächtig ins Zeug gelegt. Häufige Kostümwechsel, akrobatische Einlagen am Gerüst, das Spiel mit dem Publikum und auch die Muffinwürfe in den Zuschauerraum (Schokolade, sehr lecker!) zählten sicherlich zu den Highlights
 Das dabei die musikalische Untermalung dabei komplett aus dem Rechner kam, war zwar anfangs etwas befremdlich, hat aber letzten Endes gut zu diesem Auftritt gepasst. Ich hatte zwar zumindest das eine oder andere Violinensolo erwartet, doch von der Vorstellung eines „normalen“ Konzertes konnten sich die Zuschauer eigentlich schon nach der ersten Viertelstunde verabschieden. Stattdessen haben Frau Autumn und die „Bloody Crumpets“ eine, im wahrsten Sinne des Wortes, Show abgezogen, die ich und wahrscheinlich auch keiner der sonst Anwesenden so schnell vergessen wird.

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