Mittwoch, 19. Juni 2019
Urania Theater, Köln
Eine
meiner spannendsten musikalischen Neuentdeckungen im letzten Jahr war
das Album Angst
von The
Dead Brothers
(eine ausführliche Rezension dazu gibt es HIER). Seitdem hielt ich,
leider vergeblich, Ausschau nach einem der raren Konzerte der
Schweizer Band. Anfang Mai wurden schließlich einige Auftritte
angekündigt - zwei davon sogar in Deutschland.
Hannover kommt dabei
nicht in Frage, da es zu weit weg und terminlich unpassend ist. Köln
liegt zwar eigentlich auch nicht in meinem unmittelbaren
Einzugsbereich, ist aber doch in gut zwei Stunden mit dem Auto zu
erreichen. Auf meine Akkreditierungsanfrage erhalte ich praktisch
sofort eine Zusage (vielen Dank an Andreas Rösler für das Booking,
die Organisation und natürlich die Pressekarte) und so steht meinem
Abstecher in die Domstadt nichts mehr im Wege.
Glücklicherweise
ist es nicht ganz so heiß, als ich meinen klimatisierten
Arbeitsplatz nachmittags verlasse und meinen Wagen auf die A3 lenke.
Ich erreiche Köln, völlig untypisch, in Rekordzeit. Da die
Parkplatzsituation in Köln-Ehrenfeld eher bescheiden ist, parke ich
lieber auf der anderen Seite der Stadt, in Deutz. Mir bleibt sogar
noch die Zeit für einen kleinen Stadtbummel und ein Eis (für
lächerliche 1,50€ die Kugel). Nachdem ich meine Einkäufe sicher
im Kofferraum verstaut habe, bringt mich die Straßenbahn schließlich
mit nur wenigen Zwischenstopps zu meinem Ziel. Das Urania
Theater
liegt mitten in einem Wohngebiet und schon aus einiger Entfernung
kann ich den Sound-Check der Band hören. Einige Gäste haben es sich
bereits draußen gemütlich gemacht, nippen an ihrem Kölsch und
warten darauf, dass sich die Türen öffnen. Ich überbrücke die
Zeit, schaue mir die kuschelige Location an und unterhalte mich mit
einigen Besuchern.
Kurz nach 19.30 Uhr ist
es dann soweit und ich betrete den Saal. Die Sitzreihen ziehen sich
steil nach oben und ich wähle einen zentral gelegenen Platz. Von
hier habe ich einen guten Überblick über die Bühne und den
Zuschauerraum. Bald treibt ein plötzlich einsetzender Regenschauer
auch die anderen Gäste in den Raum und die Reihen füllen sich
augenblicklich. Nur wenige Plätze der knapp 140 Sitze sind noch frei
geblieben - dafür haben es sich einige Besucher an den Aufgängen
bequem gemacht.
![]() |
Rock 'n' Roll |
Beinahe
pünktlich um 20 Uhr ziehen die fünf Musiker feierlich in den Saal
ein. Vor allem der Cornemuse Suisse (eine Art Dudelsack) und das
Helicon (ein Verwandter der Tuba) sorgen dabei für die notwendige
Präsenz. Das folgende Intro, nur mit mehrstimmigem Gesang und
Violine, klingt eher nach traditionellem Brauchtum. Erst danach
nehmen The
Dead Brothers
ihre Positionen auf der Bühne ein, schnappen sich ihre Instrumente
und beginnen mit "Dark Night", einem langsamen Blues.
Vereinzelte dissonante Töne, die beklemmende Stimmung, eine
ungewöhnliche Instrumentierung, der abseitige Text und besonders der
Falsett-Gesang des Stückes erinnern mich frappierend an die von mir
sehr geschätzten The
Tiger Lillies.
"Death Came" führt diesen eingeschlagenen Pfad weiter
fort. Mehrstimmiger Gesang und ein sonorer Trommel-Rhythmus sorgen
für eine feierliche Atmosphäre - der gelungene Soundtrack zu einer
Beerdigung. Dead Alain Croubalian leitet "Black Moose" mit
einer kleinen Geschichte über Religion, Mord und Totschlag ein.
Blues und Americana stehen bei diesem Stück Pate. Banjo, Flöte und
Percussion nehmen dabei einen zentralen Platz ein, während das
Helicon einen überdeutlichen Kontrast setzt. Für mich eines der
Highlights des Konzertes, und sehr eingängig. Dead Matthias Lincke
ist mittlerweile von der Mandoline zur Violine gewechselt und liefert
einige Soli bei "Heart Of Stone" und "I Can't Get
Enough". Beide Stücke laden zum Kopfnicken ein - an den
Saalrändern wird sogar verhalten getanzt. Schließlich kommt die
Band zu "Everything's Dead", meinem Lieblingsstück vom
aktuellen Album. Auch nach dem x-ten Mal hören hinterlässt das Lied
immer noch einen tiefen Eindruck auf mich - selbst wenn hier der
Gesang vielleicht eine Spur zu leise ausgefallen ist. Mein bisheriger
Höhepunkt bei diesem insgesamt tollen Konzert. Dead Alain hat für
"Did We Fail?" das Mikrofon mit dem Megafon ausgetauscht.
Diese ungewöhnlich lockere Nummer setzt in erster Linie auf die
Percussion, die sich ein eindrucksvolles Duell mit dem Helicon
liefert.
![]() |
Ungewöhnliche Instrumentierung |
Nach
einem kleinen Intermezzo stimmt Dead Leon Schaetti mit einem, mir
unbekannten Blasinstrument, den Trauermarsch an. Langsam geht das
Stück in den Jazz-Klassiker "Mean Blue Spirits" über und
der Rest der Band reiht sich ein. Der Sänger zeigt dabei keine
Berührungsängste und mischt sich unter das Publikum. Dead Dide
Marfurt liefert zudem ein denkwürdiges Solo mit der Maultrommel ab.
"Am I To Be The Only One" sorgt dafür, dass die Stimmung
nicht zu überschwänglich wird und nimmt etwas Tempo raus - nur
damit es bei "Diamond Mind" wieder angezogen werden kann.
Zum ersten (und einzigen) Mal an diesem Abend wird Deutsch gesungen.
Aus mir unerfindlichen Gründen erinnert mich "Angst" an
einen Sirtaki. Das Stück nimmt mehr und mehr an Tempo zu, der Gesang
überschlägt sich und der Text tut sein Übriges, um den
verstörenden Gesamteindruck zu vervollständigen. Einen sehr
deutlichen Folk-Einschlag weist dagegen "Marie Mouri" auf,
ursprünglich bekannt geworden durch Linda Ronstadt. Auf der
Zielgrade des Konzertes geben The
Dead Brothers
noch einmal Gas. "Pretty Polly" kann mit einem eingängigen
Rhythmus und ungewöhnlichem hohem Tempo aufwarten. Verzerrte
Instrumente und der Falsettgesang verleihen der Mörderballade jedoch
etwas leicht Wahnsinniges - was ganz wunderbar ins Programm des
Abends passt. Für das letzte Stück schnappen sich die Musiker ihre
Instrumente und gehen auf Tuchfühlung mit dem Publikum. Da klettert
Dead Matthias auch schon über Stühle oder Dead Alain setzt sich auf
die Stufen. "Mary Don't You Weep" ist ein traditionelles
aufgemachtes Blues-Stück, bei dem jeder Musiker noch einmal
Gelegenheit zu einem kleinen Solo hat. Anschließend verschwindet die
Band, trotz der lauten Rufe nach einer Zugabe, recht schnell aus dem
Saal - und kommt auch nicht mehr zurück.
![]() |
Wer braucht schon Elektronik?!? |
Die
Zuschauer sind nach gut eineinhalb Stunden verschwitzt, aber
glücklich und strömen hinaus. Der Weg nach draußen gestaltet sich
etwas jedoch schwierig - als ich endlich den Vorraum erreiche , sehe
ich auch den Grund. Die fünf Musiker stehen vor der Theke und geben
dort noch eine kleine Unplugged-Zugabe. Selbst als diese beendet ist,
bleiben noch viele Gäste. Schließlich genießen The
Dead Brothers
ihren Feierabend, mischen sich unters Publikum, unterhalten sich,
oder frönen entspannt dem Nikotin- und Kölsch-Konsum.
Bevor
jedoch die eigentliche After-Show-Party nur zwei Straßen weiter Emdrügge Pitter
startet, muss ich mich verabschieden. Der Heimweg ist lang und
bereits in der Straßenbahn baue ich merklich ab.
Die
Musik von The
Dead Brothers
lässt sich kaum in eine Schublade stecken. Sie selbst bezeichnen
sich als "The one and only Death Blues Funeral Trash Orchestra"
- wobei diese Einordnung auch nicht wirklich weiter hilft. Die Band
kombiniert alpenländische Volksmusik, Punk-Anleihen, Country und
Blues zu einer ausgesprochen ungewöhnlichen, spannenden Mischung.
Hinzu kommen die nicht alltägliche Instrumentierung und die teils
morbiden Texte. Sicherlich keine Musik für jede Gelegenheit, aber
auf jeden Fall ein Erlebnis!
![]() |
Der schönste Platz ist an der Theke |
Das
Ambiente des UraniaTheater
hat sicherlich einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der
großartigen Atmosphäre dieses (beinahe komplett) ausverkauften
Konzertes gehabt. Niedrige Sofas und Sessel, (richtige) Kerzen auf
jedem Tisch, eine reichhaltige Spirituosenauswahl und die lockere,
familiäre Stimmung waren einfach eine großartige Kombination. Auch
von organisatorische Seite aus gab es nichts auszusetzen. Der Sound
war sauber und wirklich gut abgemischt und die wenigen Lichteffekte
stimmig. Insgesamt ein tolles Konzert, für das ich die Fahrt nach
Köln wirklich gerne auf mich genommen habe.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen