[Konzert] VNV Nation
Donnerstag, 8. Dezember 2016
Das Rind, Rüsselsheim
Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts stolperte ich zum ersten
Mal über die Musik des (ursprünglich) britischen Elektronik-Duos VNV Nation. "Honour" vom zweiten Album Praise the Fallen
rotierte grade in den einschlägigen Clubs - die Mischung aus trocken,
harten Beats, epischen Klangteppichen und eingängigen Melodien traf
nicht nur bei mir einen Nerv. Schon nach kurzer Zeit entwickelte sich
daraus mit Futurepop sogar ein eigenes Genre und die beiden Musiker
wurden mit dem folgenden Album Empires auch außerhalb der Szene
bekannt. Für die Band folgte eine beeindruckende Erfolgsgeschichte mit
zahlreichen Alben, Chartplatzierungen und ausgedehnten Touren sowie
Festivalauftritten, beispielsweise im letzten Jahr als Headliner des Amphi Festivals vor geschätzten 20.000 Besuchern.
Daher war es für mich ausgesprochen überraschend, dass die Band auf eine kleine Clubtour gehen würde, die unter dem Titel Automatic Empires lief. Direkt nachdem die sieben Termine bestätigt wurden, hatte ich das Glück noch Karten für das Konzert im Rüsselsheimer Das Rind
zu bekommen, das nach gefühlt fünf Minuten ausverkauft war. Für
diejenigen, die nicht so viel Erfolg hatten, gab es dann allerdings noch
einen Zusatztermin...
Nachdem ich in den Wochen davor mit einem
Hörsturz und einer Grippe zu kämpfen hatte, war ich Anfang Dezember dann
doch wieder soweit hergestellt, dass ich es verantworten konnte auf das
Konzert zu gehen. Die Zeit bis zum Öffnen der Tür verbrachte ich mit
einem kleinen Bummel durch die Rüsselsheimer Innenstadt, die allerdings
außer zahlreichen Baustellen für den Hessentag im kommenden Jahr nur
wenige Sehenswürdigkeiten zu bieten hat. Nachdem ich mich noch mit einem
Döner gestärkt hatte, machte ich mich auf den Weg ans Mainufer um mich
in der Kneipe des Rind noch ein wenig aufzuwärmen.
Vor der
Tür steht ein breit grinsender Ronan Harris, Sänger und Frontmann der
Band, in Anzug und Mantel, nuckelt genüsslich an einer Zigarre und
begrüßt mich mit einem freundlichen "Guten Abend!". Das ist mal ein
Service für die Konzertbesucher!
Im Innern der Kneipe sind die
Plätze rar, daher suche ich mir ein Fleckchen an der Theke und trinke
noch eine Kleinigkeit, während ich den Gesprächen an den Nachbartischen
lausche. Anscheinend waren einige der Besucher schon gestern beim
Zusatztermin vor Ort und so bekomme ich schon einen groben Eindruck, von
dem was mich gleich erwartet.
Kurz
nach 19 Uhr öffnen sich dann auch die Türen zum kleinen Konzertsaal und
die (noch gar nicht so zahlreichen) Besucher schlendern gelassen
hinein. Da ich relativ weit vorne in der Schlange stehe, sichere ich mir
im Innern einen Platz beinahe direkt an der Bühne, und traue mich auch
nicht mehr diesen in den kommenden Stunden zu verlassen. Nach und nach
trudelt immer mehr Publikum ein und nach einer guten halben Stunde ist Das Rind mit geschätzten 350 Besuchern auch ziemlich voll.
Die
restliche Wartezeit vergeht erstaunlich schnell und während schließlich
das Intro zu "Arclight" vom Band läuft, kommt langsam Bewegung auf die
Bühne. Mark Jackson platziert sich hinter seinem Schlagzeug, gefolgt von
zwei Keyboardern (deren Namen mir leider entfallen sind) und
schließlich kommt auch Mr. Harris auf die Bühne. Die eher ruhige und von
vielen Instrumentalparts getragene Nummer lässt dem Publikum Zeit sich
ein wenig zu akklimatisieren und einzugrooven. Nach einer freundlichen
Begrüßung, während der der Sänger zwischen Deutsch und Englisch
wechselt, geht es deutlich treibender mit "Kingdom", ebenfalls vom
1999er Album Empires weiter. Ich riskiere einen kurzen Blick
hinter mich und bis auf einige wenige Ausnahmen an der Bar wippt der
komplette Saal im Takt mit. Danach folgt wieder ein wenig Smalltalk, die
eigentliche Erklärung zum Konzept der Clubkonzerte (small, intimate)
und einige Worte zu den beiden Alben Empires und Automatic,
sowie der freundliche Hinweis "...to turn the fucking flash off...",
nachdem der Sänger mehrfach aus unmittelbarer Nähe geblitzt wurde. Mit
"Space & Time" gibt es eine schon fast poppige, eingängige Nummer,
bei der lauthals mitgesungen und -geklatscht wird. Das Publikum erweist
sich allerdings nicht bei allen Stücken als so textsicher, was auch den
einen oder anderen Kommentar nach sich zieht. In die gleiche Kerbe
schlägt "Darkangel", bei dem ebenfalls der ganze Saal feiert. Der Beat
ist hier treibender und dominanter, die Melodien nicht ganz so
ausgefeilt, aber dafür extrem tanzbar. Wirklich Bewegungsfreiheit gibt
es zwar, vor allem im Bereich direkt vor der Bühne, nicht mehr, aber ich
kann mich mit meinen Nebenleuten arrangieren, so dass zu keinen
größeren Unfällen kommt.
"Fragments"
präsentiert sich dagegen fast ausschließlich mit harten, trockenen
EBM-Beats und einigen kurzen Samples, was von einem Teil des Publikum
frenetisch gefeiert wird, während der andere, kleinere Teil mit dieser
Art der Musik augenscheinlich wenig anfangen kann. Mit einem deutlich
verringerten Tempo geht es mit "Further" von der Burning Empires-EP
weiter. Die reinrassige Synthiepop-Nummer liefert den Zuschauern eine
dringend benötigte Gelegenheit zur Erholung. Mr. Harris nutzt die
Gelegenheit ebenfalls, um für einige kurze Minuten ruhig hinter dem
Mikrofon zu stehen, anstatt die Bühne unentwegt auf und ab zu
marschieren. "Legion", "Streamline" und "Gratitude" liefern die schon
bewährte Mischung aus tanzbarem Rhythmus, gefälliger Melodie und einem
eingängigem Text. Die Band hängt sich richtig rein, auch die Keyboarder
an den Rändern der Bühne geben alles und auch die Zuschauer tanzen,
singen und klatschen wild und ausgelassen.
Nach
gut einer Stunde markiert "Distant" den emotionalen Ruhepunkt des
Konzertes. Orchestrale Klangteppiche untermalen die melancholischen
Vocals, während das Schlagzeug zum ersten Mal an diesem Abend komplett
schweigt. Lediglich die Blitze und Sucherleuchten einiger Kameras stören
die ansonsten großartigen Atmosphäre dieses Stückes. Nahtlos reihen
sich "Rubicon" und, das seinerzeit als Single ausgekoppelte, "Standing"
an. Zwei meiner persönlichen Lieblinge, die wieder Bewegung in den Saal
bringen - der explizite Aufruf zum Tanzen ist dabei eigentlich gar nicht
mehr nötig. Leichte technische Probleme gibt es zum ersten (und
glücklicherweise einzigen Mal an diesem Abend) bei "Saviour": während
die Musik immer lauter wird verschwinden die Vocals fast vollständig
hinter den harten, treibenden Beats. Erst gegen Ende des Stückes wird es
merklich besser, und der Klang wird wieder ausgewogener, um schließlich
beim eigentlichen Höhepunkt des Konzertes wieder in gewohnt guter
Qualität aus den Boxen zu dringen. Das Schlagwerk nimmt bei "Control"
eine herausragende Rolle ein und prügelt Band und Zuschauer
rücksichtslos nach vorne, lediglich unterbrochen von einigen kurzen
Keyboardpassagen. Mittlerweile bewegen sich sogar die Leute an der Bar,
und wirklich der ganze Saal tanzt ausgelassen und singt (oder eher,
schreit) mit. Nach diesen gut sechs Minuten bin ich komplett
durchgeschwitzt und merke, dass sich meine Stimme langsam verabschiedet.
Da kommt es gelegen, dass sich VNV Nation für eine kurze Pause in den Backstagebereich zurückziehen.
Der
zweite Teil des Konzertes beginnt mit "Nova" deutlich ruhiger und
konzentriert sich wieder auf gefällige Melodien und eingängige
Soundstrukturen. Dies liefert eine beinahe optimale Basis für die
Vocals, die ebenfalls lautstark mitgesungen werden (zumindest von den
Besuchern, die noch Stimme haben). Gegen Ende werden schließlich die
Lichter der Halle komplett herunter gedimmt und die Handy-Taschenlampen
im Saal sorgen für beinahe taghelle Beleuchtung. Mit der Club-Version
von "Standing" vollzieht die Band einen erneuten Tempowechsel und
liefert wieder einen Grund zum hemmungslosen Feiern. Länger, tanzbarer
und etwas härter als die ursprüngliche Version wird das Stück gebührend
bejubelt – leitet aber auch wieder eine kurze Pause ein, in der Musiker
und Publikum kurz durchschnaufen können, bevor es zum Finale geht. Nach
einem kleinen Plausch und der erneuten, nachdrücklichen Ermahnung den
Blitz an der Kamera abzuschalten folgt "Radio", eine weitere durchaus
mainstreamtaugliche, poppige Nummer. Den Abschluss bildet "Resolution",
vom 2011er Album Automatic, das alle für die Band typischen
Elemente verbindet und einen gelungenen Schlusspunkt unter dieses
großartige Konzert setzt. Die vier Musiker lassen sich bejubeln und
verabschieden sich artig von der Bühne - mit dem Versprechen in 20
Minuten am Merchandise-Stand wieder aufzutauchen. Leider habe ich am
nächsten Tag keinen Urlaub und der Heimweg zieht sich erfahrungsgemäß
ziemlich in die Länge. Daher mache ich mich, taub, blind, heiser und mit
schmerzenden Füßen langsam auf den Heimweg.
Ich
habe, glaube ich zumindest, schon lange keine Band mehr gesehen, die so
offensichtlichen Spaß bei ihrer Arbeit hatte. Obwohl VNV Nation
am Vorabend praktisch das gleiche Set in der gleichen Location (und
sogar teilweise vor den gleichen Leuten) gespielt haben, grinste der
Sänger praktisch die gesamte Zeit glücklich vor sich hin. Aber auch über
das Gesicht des sonst so stoischen Mark Jackson hinter dem Schlagzeug
huschte öfters ein seliges Lächeln. Die Interaktion mit dem Publikum war
Ronan Harris augenscheinlich extrem wichtig - er lief permanent die
Bühne auf und ab, sprach beinahe jeden in der ersten, zweiten und gar
dritten Reihe irgendwann im Laufe des Konzertes persönlich an und
schüttelte die hingestreckten Hände. Von den vielen Sängerinnen und
Sängern, die ich in den letzten Jahren gesehen habe, können es
tatsächlich nur sehr wenige mit dieser Bühnenpräsenz und dem Charisma
aufnehmen. Für mich das eindeutig beste Konzert des Jahres, auch wenn
die Konkurrenz in dieser Hinsicht recht stark war.
Die Setlist umfasste bis auf einen Titel das komplette Album Empires und noch einige mehr aus der dazugehörigen EP Burning Empires, während von Automatic,
wenn ich richtig mitgezählt habe, drei Stücke fehlten. Diese Werkschau
ist ein interessantes Konzept, dass mittlerweile häufiger von Bands
genutzt wird um den Zuhörern nicht nur eine "Best-Of"-Show, sondern
einen Einblick auf eine bestimmte Schaffensperiode zu bieten. Für mich
ist es dabei extrem spannend zu hören, ob manche Stücke auch nach 16
Jahre noch funktionieren – für die Band ist es dagegen eine gute
Möglichkeit, den spät hinzugekommenen Fans die alten Sachen live zu
präsentieren.
Die kurzfristig auftretenden Probleme mit der
Technik hatte die Crew hinter dem Mischpult schnell im Griff – dagegen
erwiesen sich die beratungsresistenten Fotografen als wesentlich
größerer Störfaktor. Es sollte doch eigentlich jedem klar sein, wie
unangenehm es ist, aus wenigen Metern geblitzt oder angestrahlt zu
werden – und doch haben es einige Besucher auch nach mehrfacher
Aufforderung nicht hinbekommen ihre Blitze auszuschalten. Vor allem in
so einem kleinen Rahmen wie dem Rind ist dies für die Künstler, aber auch für die danebenstehenden Besucher extrem lästig.
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